: Den eigenen Kollegen in den Rücken gefallen
■ 1.-Mai-Nachlese im Innenausschuß: Einige Einheiten „liefen komplett aus dem Ruder“
Die zweite Abteilung der Bereitschaftspolizei hat die Deeskalationsbemühungen der eigenen Kollegen zunichte gemacht. Diesen Vorwurf haben gestern SPD, Bündnisgrüne und PDS im parlamentarischen Innenausschuß bei einer Aussprache über den Einsatz am 1. Mai in Kreuzberg erhoben.
„Niemand bestreitet, daß erlebnishungrige Jugendliche im Vorfeld Gewalttätigkeiten geplant hatten“, stellte der PDS-Abgeordnete Freke Over klar. Zeugenaussagen von Demonstranten, Polizisten und ein Polizeifunk-Mitschnitt ließen jedoch „den starken Verdacht aufkommen, daß einige Einheiten komplett aus dem Ruder gelaufen sind und den 1. Mai zum persönlichen Frustabbau mißbrauchten“. Dagegen klang Polizeipräsident Hagen Saberschinskys Dementi eher halbherzig: „Wir haben keinen Anlaß, das anzunehmen. Aber wir müssen unsere Öffentlichkeitsarbeit nach innen verstärken.“
Daß in den Reihen der Polizei am 1. Mai heftige Kritik am Vorgehen einiger Kollegen geübt wurde, geht neben diversen Strafanzeigen aus einem Funkmitschnitt von dem Einsatz hervor, den die PDS kürzlich veröffentlichte. „ ... Höhe Sanderstraße, wo der Tieflader war, die Bullen drehen total durch, ihr müßt mal versuchen darauf einzuwirken, daß die sich bißchen einkriegen irgendwie ...“, heißt es darin. Landesschutzpolizeidirektor Gernot Piestert ging gestern im Innenausschuß auf die Situation in der Sanderstraße ein, ohne jedoch den Funkmitschnitt zu erwähnen. Er sprach von einem „brutalen Angriff“ auf die vor Ort zum Objektschutz postierte Einheit. Die „mit dem Rücken zur Wand“ stehenden Beamten seien „aus zwei Meter Entfernung mit Steinen beworfen“ worden. In dieser „notwehrähnlichen Situation“ hätten sie „ausfallartig nach vorn“ stürmen müssen.
Für den innenpolitischen Sprecher der SPD, Hans-Georg Lorenz, steht fest, daß „bestimmte Einheiten die Contenance“ verloren und „eskaliert“ haben. Der innenpolitische Sprecher der Grünen, Wolfgang Wieland, vermutete, daß es sich dabei um Angehörige der 2. Abteilung der Bereitschaftspolizei handelte, die damit „bewußt“ die vorher praktizierte Deeskalationsstrategie „zu unterlaufen“ suchten. Schon bei den Castor-Transporten in Ahaus und Gorleben habe die schlagkräftige Truppe negativ von sich reden gemacht. Laut Saberschinsky war die 2. Abteilung am 1. Mai allerdings nicht an den Ereignissen in der Sanderstraße beteiligt. Die „in der Fläche eingesetzten Einheiten“ seien „erst später“ hinzugezogen worden.
Zum Gegenbeweis wedelte Freke Over mit einigen Fotos, auf denen seinen Angaben zufolge Beamte der 2. Abteilung der Bereitschaftspolizei in der Sanderstraße bei dem Tieflader in Aktion zu sehen sind.
Bislang sind 21 Verfahren gegen Polizeibeamte eingeleitet worden. Nach Angaben des Chefs der Berliner Schutzpolizei, Gernot Piestert, gehören dazu 19 Verfahren wegen Körperverletzung im Amt. In 9 Fällen sollen Journalisten Opfer von Übergriffen geworden sein. Plutonia Plarre
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