piwik no script img

Polizeichef trifft ins Wespennest

■  Für seine Kritik an der mentalen Befindlichkeit der Hauptstadtpolizei hat Polizeidirektor Gernot Piestert viel Lob bekommen. Nur Innensenator Werthebach (CDU) ist stinksauer

Die geistige Befindlichkeit der Berliner Polizei ist nach einer kritischen Rede des Chefs der Landesschutzpolizei, Gernot Piestert, zum Politikum geworden. Piesterts Vortrag über den mangelnden Geist und das rauhe Klima in der Hauptstadtpolizei hat gestern sowohl heftige Empörung hervorgerufen aber auch breite Unterstützung erfahren. Aus der Innenverwaltung war zu hören, daß Innensenator Eckart Werthebach (CDU) „stinksauer“ über Piestert sei und bei der Polizei das Redemanuskript angefordert habe.

Rückendeckung bekam der zweithöchste Polizist dagegen von den Abgeordneten von CDU, SPD und Bündnisgrünen. Auch die Gewerkschaft der Polizei (GdP) und der Gesamtpersonalrat stellten sich voll hinter ihn. „Piesterts Analyse ist absolut begründet und sehr gut angekommen“, sagte der Vorsitzende des Gesamtpersonalrats, Carsten Müller. „Daß ein verantwortlicher Polizeiführer die Dinge beim Namen nennt und zur Selbstkritik fähig ist, ist außerordentlich erfreulich“.

Auf der Fachtagung der GdP zum Thema „Anforderungen an die Polizei in den kommenden Jahren“ war der Vorgesetzte von rund 16.500 Polizisten mit seinem Berufsstand ins Gericht gegangen. Die „persönliche und soziale Kompetenz“ lasse bei vielen sehr zu wünschen übrig, sagte Piestert. Er beklagte „erschreckende“ Bildungslücken, mangelnde Kommunikationsfähigkeit und rüde Umgangsformen. Einige Bespiele: Auf einer Dienstbesprechung hätten sich zwei Polizeiführer vor wenigen Tagen fast geprügelt. Am 1. Mai seien die zur Deeskalation eingesetzten Beamten von Kollegen als „Softies, Warmduscher und Safttrinker“ diffamiert worden.

Der Vorsitzende der GdP, Eberhart Schönberg, bezeichnete die Rede als „beachtlich und mutig“. Die selbstkritische Analyse sei eine Aufforderung an alle Polizeibeamten, aus den seit Jahrzehnten eingefahrenen Verhaltensmustern herauszukommen. Der CDU-Innenpolitiker Rüdiger Jakesch, der den Inhalt von Piesterts Rede nur aus der Zeitung kennt, sagte: „Ich sehe das ganz genauso wie er.“ Daß Innensenator Werthebach darüber ungehalten sei, so Jakesch, könne er sich nicht vorstellen. „Ich werde ihn darauf ansprechen.“ Die Fraktionsssprecherin der Grünen, Renate Künast, findet es „beschämend“, daß Werthebach eine notwendige Diskussion über den Ausbildungsstand der Berliner Polizei zu verhindern suche. Auch der SPD-Innenpolitiker Hans-Georg Lorenz kann Werthebachs Aufregung überhaupt nicht verstehen. „Piestert hat doch nur gesagt, was ohnehin jeder weiß.“ Für den Fall, daß dieser Ärger bekomme, kündigte Lorenz an: „ Ich stehe jedem bei, der Realitätssinn, Ehrlichkeit und Offenheit beweist“. Das ist wohl auch der Grund dafür, warum Piesterts Rede in Polizeikreisen soviel positive Beachtung geschenkt wird. Das öffentliche Eingeständnis, Fehler gemacht zu haben, sowie die Fähigkeit zur Selbstkritik haben viele in den Jahren unter Polizeipräsident Hagen Saberschinsky sehr vermißt.

Daß er auf Piestert „stinksauer“ ist, wollte Werthebach gestern nicht bestätigen. Stattdessen ließ er eine Presseerklärung verschikken, in der er die „Leistungsfähigkeit“ der Hauptstadtpolizei in den höchsten Tönen preist. Auf Nachfrage sagte seine Sprecherin Isabelle Kalbitzer: Diese sei nicht als Reaktion auf Piestert zu verstehen, sondern auf die Veranstaltung der GdP. Werthebach habe sich „sehr darüber gefreut“, daß dort über das Thema diskutiert worden sei.

Plutonia Plarre

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen