Betr.: Dilek Kolat

Klischees zu bedienen, das ist nicht Dilek Kolats Sache. Auf die Frage, was die wichtigsten Aufgaben des künftigen Bundespräsidenten sind, antwortet die Deutsche, die 1970 aus einem kleinen anatolischen Dorf nach Berlin kam: „Die Vollendung der inneren Einheit von Ost und West.“ Erst als zweiten Punkt nennt sie die Integration der Menschen nichtdeutscher Herkunft.

Die 32jährige, die als sogenannte zweite Generation in Berlin lebt, ist nicht mehr den typischen Weg eines Immigrantenkindes gegangen. Natürlich ist die Bezirksverordnete und stellvertretende Fraktionschefin der Schöneberger SPD von der türkischen Kultur geprägt, doch aus der Enge des typischen Immigrantendaseins hat sie sich längst befreit: „Ja, ich bin völlig integriert“, sagt sie und ist stolz ,am kommenden Sonntag „mein Staatsoberhaupt“ wählen zu können. „Als SPD-Parteichef Peter Strieder mich fragte, habe ich das als Ehre empfunden.“ Die studierte Wirtschaftsmathematikerin glaubt, daß der SPD-Kandidat Johannnes Rau eine große integrierende Fähigkeit besitzt und „die Menschen zueinander führen kann“. Für die junge Frau im schicken Business-Anzug, die in der Deutschen Kreditbank AG als Controllerin arbeitet, hängt die Vollendung der inneren Einheit ganz eng mit der Integration von Immigranten zusammen. „Für viele Türken besteht die Mauer in Berlin immer noch. Die trauen sich wegen der rechten Stimmung in Brandenburg nicht mal, an einen See zu fahren“, sagt sie. Und damit sei das Ost-West-Problem auch ein Problem der Immigraten.

Johannes Rau, dem gestandenen Fahrensmann, der immer für Ausgleich und Versöhnung gestanden hat, traut sie zu, in einer Zeit der „sozialen Kälte, in der eine kulturelle Vielfalt auch immer Konflikte schafft“, Signale zu setzen: „Möglicherweise kann er zu einer moralischen Instanz werden“, hofft sie.

Doch die „Angst“ vor dem Osten macht sich die ernsthafte und nachdenkliche Frau selbst nicht zu eigen. Sie hat zu einigen Ostdeutschen enge Freundschaften geknüpft und fährt zusammen mit ihrem Mann, Kenan Kolat, dem Geschäftsführer des Türkischen Bundes Berlin, oft ins brandenburgische Umland. Woher sie ostdeutsche Freunde hat? „Ich habe eine kleines Geheimnis“, macht sie es spannend und lacht: Die Deutsche Kreditbank AG ist ostdeutsch. „Natürlich kommen auch viele meiner Kollegen aus dem Osten, und wenn wir einen Betriebsausflug machen, dann fahren wir nach Schwerin zum Paddeln.“

In ihrem „zweiten“ Alltag als Bezirksverordnete hingegen hat sie weniger mit dem Osten als mit „ihrer Herkunft“ zu tun. In Schöneberg ist sie die Immigranten- und schulpolitische Sprecherin. Gerade in diesen beiden Funktionen versucht sie die Integration ihrer Landsleute zu fördern. Und das ist nach ihrem Eindruck nötiger denn je: „Die 16 Jahre Regierung Kohl waren eine Politik der Ausgrenzung“, sagt sie. Viele Immigranten hätten sich innerlich und auch im wahren Leben aus der deutschen Gesellschaft zurückgezogen. Der Bildungsstand, auch unter jungen Türken, sei viel schlechter als der der Deutschen. Viele sprächen weder richtig deutsch noch richtig türkisch. „Ich hoffe sehr, daß Johannes Rau neue Zeichen in neuen Zeiten setzen wird.“ Annette Rollmann