: Betr.: Witold Kaminski
Jetzt einen Degen zur Hand, einen Schimmel vor der Tür und eine bunte Uniform für den kleinen Mann – der altgewordene D'Artagnan, der für Frankreich, den König und die drei anderen Musketiere ritt, wäre wiederauferstanden. Die langen weißen Haare Witold Kaminskis, sein spitzer Bart und sein Idealismus passen perfekt. Aber das ist, obwohl ein großer Mischlingshund unvermittelt durchs Büro schlurft, kein Hof in der Gascogne, sondern es handelt sich um die Räume des Polnischen Sozialrats in Kreuzberg. Der 51jährige Sozialarbeiter polnischer Herkunft kämpft auch nicht für Ludwig XIII., sondern für eine deutsche Bundespräsidentin: Kaminski ist eine der Persönlichkeiten, die für die Berliner PDS am Sonntag das neue Staatsoberhaupt wählen.
Kaminskis Kandidatin: die katholische Theologin Uta Ranke-Heinemann. Die Begründung: Nur sie habe sich klar gegen den Krieg im Kosovo ausgesprochen. Das habe zwar nicht direkt mit der Wahl am Sonntag zu tun, räumt er ein. Aber der Krieg sei derzeit das „Hauptthema“, und die Deutschen dürften keine Uniform tragen, sagt der Wirtschaftswissenschaftler und Trickfilmzeichner. Ranke-Heinemann sei eine „absolut phantastische Frau“, gerade recht für diese Position, in der man nicht „artig, glatt und nett“ sein dürfe.
Wie nebenher hat Kaminski damit auch etwas von sich erzählt: Während seiner Studienzeit in Lodz war er in einer winzigen Widerstandsgruppe. Romantiker, die die „pure Rebellion“ wollten. Als Anarchist, der damals alles „zum Kotzen“ fand, hat er Demos organisiert, Flugblätter geschrieben und geplant, den Innenminister zu ermorden. Heute findet er das „zum Lachen“, und irgendwie muß man mitlachen.
Und dann gab es die Hippie-Zeit in seinem Leben. Da hat er barfuß als „Bürohengst“ in einer Verwaltung gearbeitet und weiß heute nicht mehr, was er da gemacht hat. Später wurde er Trickfilmzeichner. Das kam ihm 1981, als er nach Berlin floh, bei seinem Asylantrag zugute, denn Trickfilmzeichner waren damals in Deutschland gesuchte Leute: Schnell bekam er noch während des Asylverfahrens, das sich zwei Jahre hinzog, eine Arbeitserlaubnis. Doch die Erfahrungen, wie Asylbewerber von deutschen Bürokraten und Polizisten dabei behandelt wurden, brachten Kaminski dazu, mit anderen 1982 den Sozialrat zu gründen. Er hat derzeit 19 hauptamtliche Mitarbeiter und hilft vor allem Migranten aus Mittel- und Osteuropa, vom Vertragsarbeiter bis zur Prostituierten.
Daß er sich von der PDS nominieren ließ, hat im Sozialrat zu heftigen Diskussionen geführt, berichtet Kaminski. Dabei wird seine ohnehin schon reiche Gestik noch ausladender. Schließlich sei er ja aus dem „realen Sozialismus“ in Polen geflohen. Doch er sei „unabhängig“ und lasse sich nicht instrumentalisieren. Außerdem müsse man neben Menschen auch Parteien zubilligen, daß sie sich entwickelten. Nach Beginn der Nato-Luftangriffe hätte er keiner anderen Partei als Wahlmann gedient. Da sei es auch nicht so schlimm, daß Uta Ranke-Heinemann nur als Zählkandidatin gilt: „Meine Stimme geht nicht verloren, jetzt ganz besonders.“ Wer für seine Ideale kämpft, braucht eben nicht unbedingt Sieg und Degen und Uniform und Schimmel erst recht nicht. Philipp Gessler
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