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Staatssekretärin ehrenhalber

Demokratisch gewählt wird wohl der Bundespräsident, automatisch dazu gehört jedoch die jeweilige Gattin. Und die ist bekanntlich immer dabei: bei Staatsempfängen wie bei Wohltätigkeitsveranstaltungen und privaten Terminen. Oft ist es ihr Handeln und Wandeln, das das Bild des Paares in der Öffentlichkeit prägt. Die First Ladies der »Republik schreiben ihre ganz eigene Geschichte. Ein Stöbern inalten Bildern und Erinnerungen als Teil XIX der Serie: „50 Jahre neues Deutschland“  ■ von Norbert Seitz

Wenn sie mit lehmverkrusteten Gummistiefeln deutliche Spuren auf dem roten Teppich am Haupteingang der Villa Hammerschmidt hinterließen, Besucher über ein Dreirad oder einen Teddybären stolperten, Andrea-Gwendolyn bei der Begrüßung des spanischen Königspaares „mit militärischen Ehren“ auf das kleine Mäuerchen neben der Freitreppe kletterte, um das Gewehr eines Wachsoldaten zu inspizieren, und den Journalisten ein „Wie lange wollt ihr Stinker denn noch bleiben?“ verpaßte – dann, ja dann handelt es sich nicht etwa um einen TV-Comic von Hape Kerkeling, sondern um Szenen mitten aus dem Präsidentenleben der unvergessenen Mildred Scheel Mitte der 70er Jahre. Nachzulesen bei Almut Hauenschild.

Die zweite Gattin des liberalen Sonnenkönigs blieb schillernde Ausnahme im ansonsten eher streng protestantischen Kontinuum bundesdeutscher First Ladies. „Man wählt einen Präsidenten und bekommt ein Ehepaar.“ Die Präsidentengattin sei eine „unbezahlte wie unbezahlbare Botschafterin ihres Landes“, heißt es stets respektvoll. – Liest man in Dieter Zimmers gerade erschienener Porträtserie über „Deutschlands First Ladies“, möchte man meinen, meist hatten sie die Hosen an.

Elly Heuss-Knapp würde heute wohl ein ausgesprochenes Multitalent genannt: Wanderrednerin, Rundfunkschaffende, Werbefachfrau, Pädagogin, Frauenkämpferin (der Doppelname schon 1908!), liberale Landtagsabgeordnete. Als ihr pietistisches Herz für einen Eleven Friedrich Naumanns zu schlagen begann, richtete sich die pädagogische Neigung auch auf die Umerziehung seiner bohemienhaften Staffage – Theodors Künstlermähne, seine abgeschabten Herrenhüte und gelben Stiefel schienen dem guten Ruf eines aufstrebenden Mannes wenig förderlich.

Klerikale CSUler wollten den freisinnigen Schwaben nicht als Bundespräsidenten. Doch der berechnende Katholik Adenauer sollte seine Zweifler in der Union beschwichtigen: „Er hat eine sehr fromme Frau. Das genügt.“ Mit ihrer Feldblume zum Muttertag gelangte Elly Heuss-Knapp ins Geschichtsbuch.

Ebenso hatte der Alte von Rhöndorf ein Auge auf die Gattin des von ihm ausgeguckten Nachfolgers geworfen. Eines Tages soll er Wilhelmine Lübke zu verstehen gegeben haben, daß nicht sie, sondern ihr Heinrich ins Amt des Bundespräsidenten gewählt worden sei.

Was Vicky Leandros und Nina Ruge heute recht ist, war dem sauerländischen Sprachtalent vormals billig: Sie, die zehn Jahre älter war als ihr „Heini“, frisierte ihr Geburtsdatum, so daß sie ihrem Gatten von Jahr zu Jahr gleichaltriger, aber Gott sei Dank nicht gleicher wurde. Lübke galt nämlich in seiner zweiten Amtszeit als starrsinnig und später auch als krank.

„Sauerland ist überall!“, schreibt Hilde Purwin, sei oftmals geunkt worden, wenn die hochgebildete Dame darauf achtete, daß ihr Gatte nicht aus dem Ruder lief bzw. auf die Schleppe der Queen trat. Bei letzterer schien ihr das höfische Zeremoniell mächtig imponiert zu haben, was Mitglieder des Vorstandes der Bundespressekonferenz zu spüren bekamen, denen aufgetragen wurde, mit dem Rücken zur Tür das Zimmer wieder zu verlassen.

An der Seite der künftigen Präsidenten – Scheel einmal ausgenommen – sollte es von da an äußerst protestantisch zugehen. Dabei kam der Wandel des politischen Klimas den spartanisch anmutenden Lebensgewohnheiten der gebürtigen Bremerin Hilda Heinemann sehr zupaß. Die persönliche Askese fand gleichsam ihre glücklich progressive Verbindung mit der 68er-Parole vom Ende des Obrigkeitsstaates. Getreu Gustavs wohl berühmtestem Ausspruch „Ich liebe keine Staaten, ich liebe nur meine Frau“ wurden die protokollarischen Pflichten auf ein dröges Muß heruntergespult, so daß konservative Geister schon um die notwendige staatliche Repräsentanz fürchteten.

„Wir laufen auf einem Gleis“, entdeckten sie frühzeitig ihre Nähe. Hilda konnte den jungen Gustav mit ihrem praktizierten Christentum imponieren, er schlug alsbald eine steile Synodalkarriere in der evangelischen Kirche ein.

Sie verstand ihre Aufgabe darin, „Türen zu öffnen“, weshalb er sein „Madamchen“ auch gern als „Staatssekretär ehrenhalber“ apostrophierte. So entstand die Hilda-Heinemann-Stiftung als „Wohnstättenwerk für geistig Behinderte“. Einmal sei ihr sogar – wie Ursula Salentin berichtet – linke Profilierungssucht vorgehalten worden, als sie eine Rauschgiftsüchtige im Heim besuchte und die Kameras den Wandspruch im Hintergrund erfaßten: „Zerschlagt den Staat mit dem Joint in der Hand!“ Doch Hilda Heinemann wollte sich lieber unter die Ausgestoßenen als unter die ewig Gerechten begeben.

Rut Brandt schildert, wie Walter Scheel vor seiner Wahl 1974 feixte: „Rut, können Sie sich diesen skurrilen Menschen in der Villa Hammerschmidt vorstellen?“ Mit den altbackenen Appellen für das Müttergenesungswerk wollte Mildred Scheel nichts zu tun haben: „Nie im Leben ... Ich mache in Krebs.“ Erstens Kinder, zweitens Krebshilfe, drittens Walter. So soll ihre Prioritätenliste ausgesehen haben, als sie mit 42 Jahren zur Präsidentengattin aufstieg. Eine Reihenfolge, mit der sich ihr früherer Nierensteinpatient nur schwer abfinden konnte.

Dafür avancierte Mildred zur wahren Spendenkönigin. 1979, im Jahr ihres Ausscheidens aus dem Amt, verwaltete sie schon 25 Millionen: „Karnevalsprinzen durften sie reihenweise abbüzzen“ – so Almut Hauenschild –, „wenn die Zahl auf dem Scheck hoch genug war.“

Obgleich Walter Scheel gern für eine weitere Amtsperiode geblieben wäre, schien dessen unkonventionelle Gattin heilfroh, den vielen Zwängen entkommen zu sein: „Der Hund darf auch wieder bellen“, soll sie gefrotzelt haben.

Sie war für viele die beliebteste First Lady“, befindet die frühere ZDF-Journalistin Fides Krause-Brewer über Veronica Carstens. Der Grund für ihre Popularität lag nahe. Auch wenn dem Herrn an ihrer Seite der Ruf eines stockkonservativen Politikers vorausging, blieb Frau Carstens die bislang einzige Präsidentengattin, die sich nicht scheute, die Doppelrolle zwischen Amt und Beruf zu wagen. Sie übte ihre internistische Praxis in Meckenheim bei Bonn weiterhin aus und avancierte zur bundesweiten Beichtmutter und Volksärztin. Millionen von Bürgern sprachen sie wegen ihrer Wehwehchen an. Darüber hinaus pflegte sie gegen die Schulmedizin ihre naturheilkundlerischen Hobbys. So ließ sich Königin Sofia von Spanien erklären, wie man eine Mittelohrentzündung mit Zwiebeln und heißen Kartoffeln bekämpfen kann.

Auch Veronica Carstens entdeckte ihre wohltäterische Marktlücke und wurde Schirmherrin der Deutschen Multiple Sklerose Gesellschaft. Politisch zog sie sich auf die traditionelle Einstellung der ahnungslosen Ehefrau zurück: „Alles, was du politisch zu sagen hast, ist viel zu wenig fundiert, um damit in die Öffentlichkeit zu gehen.“

Dennoch blieb genügend Zeit, mit Karl zwischen Timmendorf und Garmisch die Wanderschuhe zu schnüren und 1.600 Kilometer durch unser deutsches Vaterland zurückzulegen. Natürlich fand auch Veronica Carstens' Nachfolgerin ihre fürsorgliche Bestimmung – als Schirmherrin im Bundesverband der Elternkreise drogengefährdeter und drogenabhängiger Jugendlicher.

Marianne von Weizsäcker hatte ihren 15 Jahre älteren Richard bei einer Hubertusjagd kennengelernt. Frühzeitig trat sie als ehrenamtliche Helferin des Johanniterordens in Erscheinung. „Ich rede nicht!“ wehrte sie sich gegen protokollarische Sprechzwänge. „Wenn ich etwas sagen möchte, tue ich das. Ansonsten hat mein Mann die Aufgabe, zu reden.“ Doch der Appetit kam beim Essen. Die Gattin des wohl bedeutendsten Bundespräsidenten seit Theodor Heuss gab sich dabei nicht immer ganz protokollgerecht. Kaum ein Journalist, der nicht eine Zikkigkeit Mariannes im halböffentlichen Umgang mit ihrem Gatten oder mit Interviewern auf Lager hätte.

Christiane Herzog stammt aus der protestantischen Diaspora Bayerns, wo ihr Vater Pfarrer und während der Nazizeit Mitglied der Bekennenden Kirche war. Sie verstand es clever, ihre Profession als Hauswirtschaftslehrerin mit ihrer ehrenamtlichen Tätigkeit für Mukoviszidose-Kinder medial zu kombinieren. Während ihr gescheiter Roman die hiesigen Eliten wachzuküssen versuchte, kümmerte sich Christiane um den kulinarischen Standort Deutschland. Dem stiefmütterlichen Umgang mit der Kartoffel rückte sie in einer ARD-Kochserie zur Pfanne und erzielte dabei einen erstaunlichen Zuschaueranteil von 15 bis 17 Prozent bei 140.000 verkauften Büchern. Alle Honorare kamen ihrer Stiftung zugute.

Bei Reinhold Beckmann brachte sie jüngst das Sozialethos einer Präsidentengattin auf den Begriff: „Die Frau des Bundespräsidenten kommt im Grundgesetz nicht vor, sie hat nur Pflichten.“ Was nicht festgeschrieben sei, habe keinen Status. Alles geschehe nur auf Goodwill-Basis. Mittlerweile sind die sozialen Verpflichtungen einer Präsidentengattin derart gewachsen, daß jeder seinen eigenen Terminkalender besitzt: „Wir sind viel getrennt in Deutschland marschiert und uns oft räumlich aus dem Weg gegangen.“

Christina Rau wird wohl nach Mildred Scheel mit 42 Jahren die jüngste Präsidentengattin werden. Johannes Rau läßt sich nur ungern daran erinnern, eine Millionenerbin geehelicht zu haben. Dies verträgt sich nicht mit dem protestantischen Selbstbild einer möglichst bescheidenen Lebensführung. Unvergessen bleibt, wie er 1993 nach dem Engholm-Rücktritt vom SPD-Vorsitz Seitenhiebe an die Toskanafraktion austeilte: „Ich bin auch nie in der Gefahr, für ein Filou gehalten zu werden. Mich vermutet man eben nicht auf Sylt, sondern auf Spiekeroog. Das halten manche Zeitgenossen für ein bißchen kleinbürgerlich. Aber die kleinen Leute spüren, daß ich nicht nur für Fototermine bei ihnen bin. Auch vermutet man mich nicht bei lukullischen Veranstaltungen ...“

Gertrud Höhler, einst Paderborner Lehrstuhlinhaberin unter dem jungen Wissenschaftsminister Rau, hat jüngst die Chancen der kommenden Bundespräsidentengattin als eher günstig beschrieben: Sie habe souverän eine vielversprechende Karriere abgebrochen, um Ehefrau, Mutter und kluge Partnerin eines Spitzenpolitikers zu sein: „Sie wird dem deutschen Restfeminismus mit ihrer ausgeruhten Unabhängigkeit und Bescheidenheit als Begleittugenden eines scharfen Verstandes eine neue Lektion zumuten. Das könnte ein Riesenvergnügen werden.“

Literatur: Dieter Zimmer: „Deutschlands First Ladies“. DVA 1999.

Norbert Seitz, 48, ist Buchautor und verantwortlicher Redakteur der politischen Kulturzeitschrift Die neue Gesellschaft – Frankfurter Hefte.

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