: Häutungen
In „Solostories“ zeigen vier Choreographinnen bei den Jungen Hunden weibliche Selbstinszenierungen ■ Von Claude Jansen
Vier Frauen, vier Länder, vier Stückchen – das ist der kleinste gemeinsame Nenner, unter dem sich ein Abend mit vier Choreographinnen zusammenfassen läßt. Doch hinter den einzelnen Soli verbirgt sich mehr als nur die eine Persönlichkeit, die tanzt, singt, spricht und lacht. Da ist der kleine Zeh, der plötzlich sein Eigenleben hat und der Augapfel, der so übermächtig kullert, als wolle er auf der Stelle die heimatliche Höhle verlassen. Weibliche Selbstinszenierung, Maskerade – geläufige Begriffe der feministischen Theorie. Die Frau als verwandelbares Wesen, im Spiel mit der multiplen Persönlichkeit.
Rebecca Murgi spielt mit allen ihr zur Verfügung stehenden Ausdrucksformen. Ihr Magnum Miraculum beschreibt das große Wunder menschlicher Kommunikation, das nicht nur auf eindeutigen Zeichensystemen beruht, sondern auch Mißverständnisse in sich birgt. Aus dem zaghaften, zunächst kopflosen Wesen, entpuppt sich der eigene Scherenschnitt, der übermächtige Schatten ihrer Selbst, projiziert auf eine weiße Leinwand. Doch wie funktioniert Kommunikation, wenn sich das eigene Ich unentwegt spiegelt? Eine weitere Person muß her, die wieder nur als Abbild erkennbar ist. Verzweifelte Versuche der Kontaktaufnahme scheitern, denn Bilder sind nun einmal stumme Zeitgenossen und keine amüsanten Gesprächspartner.
Glücklicherweise ertönt die erlösende Stimme aus dem Off. Die sprechende Rebecca, mit der die Life-Rebecca endlich reden kann. Leider entpuppt sich die Wortkonserve als Autorität, die das verwirrte Bühnenwesen zur fremdbestimmten Animationsfigur werden läßt. Wie das kleine italienische Zeichenmännchen „La Linea“ steht sie im ständigen Konflikt mit ihrem Schöpfer. Doch bevor sie sich ausradieren läßt, beschließt sie, vorzeitig das Licht auszumachen.
On the Road with Maxine 1 + 2 ist ein Spiel in der Kammer. Wie bei einer Spieldose wird beim Öffnen der Türen ein Mechanismus ausgelöst, der die Puppe zum Tanzen bringt. In diesem kleinen, schwarzen Kästchen versteckt sich die wahnsinnige Maxine Rogers, die mit ihren plakafarbenen Augenklappen ihr Publikum zum Staunen bringt. In rasanter Geschwindigkeit ist sie mal Reiterin, mal Golf GTI. Die gebürtige Engländerin, die in Zusammenarbeit mit der dänischen Choreographin Kamilla Wargo Brekling eine Mini-Show aus Stand-up-comedy, Performance und Tanz entwickelt hat, schlüpft in lebendige und weniger lebendige Wesen und macht dazu Geräusche, die nicht wirklich dem menschlichen Sprechorgan entschlüpfen können.
Auch Karine Pontiès, die Dame de Pic, tanzt ihren eigenen Psychothriller. Und wenn ein Insekt ihren Körper bewohnt und sich durch jedes einzelne Körperteil schleicht, bis es am Ende als Fliege das Licht der Welt erblickt, ist der Vergleich zum gleichnamigen Film nicht verwunderlich. Die Pic-Dame ist ein einfühlsamer Schwarz-weiß-Streifen, angefüllt mit Trauer und Melancholie, aber auch voller Verzweiflung über die Unmöglichkeit der Liebe zu sich selbst und zum Anderen. Ein faszinierender Dialog zwischen zwei Welten.
Heimlich hat sich noch eine weitere Dame dem Tanzabend angeschlossen. Unangekündigt ist die Niederländerin Mirjam Bos mit X die vierte Solistin, die sich häutet, in fremde Körper schlüpft, ihren eigenen Alltag bis zu Unkenntlichkeit stilisiert. Mit dem Zähneputzen fängt alles an. Doch dann kommt fälschlicherweise ein Schluck Wasser in die Luftröhre und man muß husten, würgen, kotzen. Was sich da entleert, ist allerdings kein Magensaft, sondern ein Wettlauf mit der Zeit, mit den eigenen Kräften und Mächten, die irgendwo zwischen Haut und Knochen stecken.
Letzte Vorstellung: heute, 20.30 Uhr, Kampnagel, k2
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