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Trödlerinnen auf dem Markt der Wege

■ „Glücksfelder“ oder die Kunst, auf der Bühne den Satz „Ich will ...“ zu sagen: Eine überaus charmante Revue des deutschsprachigen Theaters Almaty am Leibnizplatz

Vor über einem Jahr hat es Ingrid Lausund nach Almaty (früher: Alma-Ata) verschlagen. Die junge Regisseurin und Autorin aus dem Süddeutschen sollte und wollte an der deutschsprachigen Schauspielschule der kasachischen Hauptstadt eine Abschlußarbeit einstudieren. Doch was tun bei einer Klasse, in der sieben Schauspielerinnen und ein Schauspieler versammelt sind? Weil sie Männerrollen nicht mit Frauen besetzen wollte, fielen 99 Prozent der vorhandenen Theaterliteratur flach. Also schrieben und entwickelten Lausund und ihre SchülerInnen kurzerhand selbst ein Stück und nannten es „Glücksfelder“. Und damit begann eine Erfolgsgeschichte, die jetzt in Bremen zu bestaunen ist.

Zwischen Diesseits und Jenseits befindet sich in Almaty eine Probebühne. Es könnte auch ein Marktplatz sein. Darauf sitzen sieben durchs Leben schon etwas angewrackte Schönheiten und vertrödeln ihre Tage. Sie würden weiter vor sich hintrödeln, wenn nicht irgendwann eine ebenso angewrackte Schönheit von Mann käme. „Ich bin der Tod“, sagt er, doch nie war der Tod so augenzwinkernd und liderklappernd verführerisch. Das Spiel kann anfangen.

Die äußerlich verschieden angewrackten Trödlerinnen entfalten nach und nach Charaktere. Aus der einen im Ballett-Tüll wird tatsächlich eine Primaballerina. Die andere mit der Krücke und der roten Armbinde outet sich als letzte Kämpferin für soziale Gerechtigkeit. Und eine dritte hat sich längst dem Western Lifestyle angepaßt und behauptet, ihren Mercedes aufgegessen zu haben. Mal unterbrochen, mal angefeuert durch den als Conferencier agierenden „Tod“, serviert das Septett eine Revue aus Soli und Ensembleszenen, aus Marktplatzwitzchen und miniaturhaften Tragödien.

Wie bei den Abschlußarbeiten von Schauspielschulen üblich, dürfen auch in den „Glücksfeldern“ alle zeigen, was sie drauf haben. So kann die eine besser singen, die andere besser tanzen und die dritte ganz ulkig eine alte Rußlanddeutsche spielen. Aber dieses halb grotesk-komische, halb balladig-melancholische Schauspiel vom Wollen und vom Scheitern entfaltet einen außergewöhnlichen Charme.

Beim Festival „Theaterformen“, Unterabteilung Programme deutschsprachiger Schauspielschulen, beeindruckten die „Glücksfelder“ Ingrid Lausunds und ihrer SchauspielerInnen im letzten Jahr so sehr, daß die Jury kurzerhand einen Spezialpreis geschaffen hat. In Kasachstan strömt vor allem russisches Publikum in das Theater, weil es dort dem Vernehmen nach noch immer ungewöhnlich sein soll, wenn jemand auf der Bühne den Satz „Ich will ...“ formuliert.

Christoph Köster

Aufführung heute, Samstag, 19.30 Uhr, Theater am Leibnizplatz

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