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: Wisconsin im Altweibersommer

■ Viel Komik, viel Pathos: Road Movies von Takeshi Kitano und David Lynch

Trotz des langanhaltenden, herzlichen Beifalls: Auch Takeshi Kitano hat das Gesetz der Serie auf seiner Seite. Der „Hana-Bi“-Nachfolger „Kikujiro“ ist der schwächere Film. Der neun Jahre alte Masao weiß nicht, was er in den Sommerferien tun soll. Und weil er auf die Idee kommt, seine Mutter zu suchen, die ihn bei seiner Großmutter zurückließ, ordnet eine Freundin der Großmutter ihren Ehemann Kikujiro ab, den Jungen zu begleiten. Das darauf folgende Road Movie ist in den Rahmen eines Bilderbuchs eingepaßt, dessen einzelne Seiten Kitano gewissermaßen umblättert. Dabei entpuppt sich „Kikujiro“ als Nummernrevue, deren größte Stärke sich zugleich als ihre große Schwäche herausstellt: daß die Nummern nicht einfach nur komisch, sondern nachgerade wahnsinnig komisch sind. Weil kein Auto hält, um die beiden mitzunehmen, kommt Kitano aka Kikujiro auf die Idee, einen Nagel auf der Straße zu plazieren, damit sich das nächste Auto einen Platten einfährt, was dann Gelegenheit böte, als Mitfahrer anzuheuern. Im konkreten Fall platzt leider der Reifen, und das langersehnte Auto rutscht ganz gemächlich über den Seitenstreifen den Abhang herunter, wo es schließlich auf dem Dach liegen bleibt. Das nennt man eine verpaßte, hier besser verpatzte Gelegenheit, und man muß es gesehen haben, von welch wunderbarer Idiotie diese Szene ist.

Aber wie Atom Egoyan in der Gruppeninterviewsitzung gestern vormittag sagte: Es gibt die Botschaft und den Botschafter. Er meinte, daß in seinem Film die offensichtliche Diskrepanz zwischen dem Inhalt der Botschaft und dem Charakter des Botschafters die Ambivalenz schafft, die es braucht, um eine moralische Geschichte nicht auf moralische Weise zu erzählen. In Kitanos Film freilich gibt es keine Botschaft, nur den Botschafter, und der zeigt, was er drauf hat. Nicht nur diese erschreckend komische Komik. Bei ihm malen gleich Engel und Geister am Filmbild mit, oder Motorradrocker stellen sich als ganz zauberhafte Performancekünstler heraus. Doch leider ist der kleine Masao dann nur noch ein Vorwand für die vielen Einfälle des großen Kitano. Das ist die Schwäche des Films. Mir fiel es jedenfalls schwer zu erkennen, daß das Ende der Reise der Beginn einer langen Freundschaft ist.

Zuviel Botschaft und zuviel Kongruenz zwischen Botschaft und Botschafter im darauffolgenden Road Movie: Nach einer wahren Begebenheit hat David Lynch einen schrecklich sentimentalen Film gedreht, wobei man ihm gar nicht den Vorwurf machen möchte, es sei da ein falscher Ton dabei. Es steht vielmehr zu befürchten, daß das alles recht authentisch in Szenen gesetzt wurde. Amerikaner sind so. Es geht um die lange Reise, die der 73jährige Alvin Straight von Laurens, Iowa, nach Mount Zion, Wisconsin, unternimmt, um sich nach einem Streit mit seinem dort lebenden 76jährigen Bruder Lyle zu versöhnen, bevor sein Tod oder der des Bruders es verhindern könnte. Der Clou an Alvins aufenthaltsamer Reise ist es nun, daß er sie, weil er weder Führerschein noch Auto besitzt, auf einem motorisierten Rasenmäher unternimmt. Unterwegs trifft Alvin Straight auf Radrennfahrer, und als einer ihn schließlich fragt, was denn Alter bedeutet, kommt er, der an zwei Stöcken geht, nicht auf seine Schmerzen zu sprechen oder darauf, daß er sich kaum mehr bewegen kann, sondern er sagt: „Daß man sich an die Jugend erinnert.“ Es ist dieses wortkarge, aber immer grundsätzliche Sprechen, die Schönheit der Hügellandschaft von Wisconsin im Altweibersommer und die Beschwörung der Familie, die das sentimentale Pathos ausmachen – David Lynchs „Straight Story“ ist ein veritabler amerikanischer Heimatfilm. Brigitte Werneburg

PS: Jede Wette, daß Pedro Almodóvar die Palme kriegt.