: „Das ist härter als Boxen“
■ Bei der 3. Internationalen Hamburger Schachmeisterschaft gibt's ganze 8300 Mark Prämie
Die Stirn ist schweißnaß, die Atmung wird kürzer, das Gesicht läuft knallrot an. Wer den Hamburger Schach-Großmeister Lubomir Ftacnik nach knapp fünf Stunden Spielzeit beobachtet, kommt nicht auf die Idee, daß Schach kein Sport sei. Der Spitzenspieler des Hamburger Schachklubs hat noch zwei Stunden, um den unbekannten Hamburger Frank Lamprecht zu schlagen und ist in höchste Zeitnot geraten. Volle Konzentration ist jetzt unabdingbar. „Das ist härter als Boxen. Vier bis sechs Stunden höchste Konzentration bei einem Puls bis zu 180 – das soll erst einmal jemand schaffen“, kommentiert Rolf Sander, Mitorganisator der 3. Internationalen Hamburger Schachmeisterschaft, die am Sonnabend in Eilbek begonnen hat.
Jogging und Radfahren gehören zum Trainingsalltag der Brettspieler. „Nur wer körperlich fit ist, kann auch eine Begegnung von sieben Stunden gewinnen“, betont Sander. Aber natürlich verbringen Schachspieler auch viel Zeit vor Büchern und studieren alles, was zum erfolgreichen Figurenverschieben gehört – von Eröffnungsvarianten über unterschiedliche Partiephasen bis hin zu den bisherigen Spielen des nächsten Gegners. Alle Partien sind per Internet abrufbar. „Nicht nur Profis tranieren so viel“, erläutert Sander. Gut zehn bis fünfzehn Stunden in der Woche seien auch in der Stadtliga nötig.
Doch deren Spieler sind im Turnierfeld der mit insgesamt 8.300 Mark dotierten Internationalen Hamburger Meisterschaft selbstredend nicht zu finden. Ein erlesenes Teilnehmerfeld aus 30 Spielern – unter ihnen fünf Großmeister – sorgt für hohe Qualität am Brett. Favoriten bei dem diesjährigen Turnier sind Titelverteidiger Ftacnik und der polnische Großmeister Robert Kempinski. Absagen mußte Top-Spieler Liviu Nisipeanu. Die deutsche Botschaft verweigerte den Rumänen das Visum. Überhaupt läuft beim Schachsport nicht alles so professionell wie in anderen Sparten – es fehlt am Geld. Das geduldige Verschieben der Spielfiguren auf dem Brett ist eben nicht sonderlich medienträchtig. Wer will schon minutenlang vor der Glotze auf das Verschieben des schwarzen Bauern warten, wenn er die Begegnung später bequem per Internet analysieren kann?
Logische Folge: Die Sponsoren bleiben aus. Schlappe 3.000 Mark Prämie wird der erste Sieger von Hamburg erhalten, die anderen teilen sich 6300 Mark. Bei den seltenen Turnierterminen im Jahr kein üppiges Salär für Profis. Nicht umsonst kommen fast alle aus Osteuropa: „Im Westen kann man als Profi kaum überleben“, berichtet Sander. So ist es dann auch nicht die große Glitzerwelt edler Hotelsuiten, in denen die Profis der Hamburger Schachmeisterschaften kampieren. Fast alle Teilnehmer sind privat untergebracht. Frauen sucht man unter den Turnier-Teilnehmern vergeblich – nicht nur in Eilbek. „In den TOP 100 der Weltrangliste findet sich nur eine Frau“, weiß Sander. Die Gründe hierfür sieht er in der Sozialisation: „Das ist wie mit den Naturwissenschaften. Den Mädchen wird eingeredet, daß das nichts für sie ist“.
Beste Siegchancen unter den Männern hat nach den ersten beiden Runden Robert Kempinski. In zwei eindrucksvollen Begegnungen besiegte der Pole mit dem Hamburger Enno Heyken und dem Berliner Stefan Loeffler zwei nicht einfach zu spielende Kontrahenten. Titelverteidiger Lubomir Ftacnik hingegen strauchelte. Nach einem mühevollen Auftaktsieg gegen den Hamburger Frank Hegeler unterlag er in der zweiten Runde am Sonntag sensationell dem schwächer eingestuften Frank Lamprecht. Matthias Anbuhl
Die Internationale Schachmeisterschaft läuft noch bis zum 30. Mai, täglich ab 15 Uhr im Haus des Hamburger Schachklubs in der Schellingstraße 41. Der Eintritt ist kostenlos.
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