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Querspalte

■ Tante Uta

Die Bundesrepublik Deutschland hat eine große Chance verpaßt – mir einen Gefallen zu tun. Es ist nicht immer leicht, der sonntäglichen Kolumnistenpflicht nachzukommen. Die Woche ist durchkämpft, alle Dummheiten sind ausgesprochen und längst beantwortet. Allzu christlich-friedlich rekelt sich der Sonntag, und die Protagonisten schöpfen Kraft, um gleich am nächsten Tag um so lauter loszutrompeten.

Wäre doch Uta Ranke-Heinemann zur Bundespräsidentin gewählt worden. Die 76jährige Krachkatholikin ist noch an jedem Tag der Woche gut für ein Wort auf Teletubbie-Niveau. Wie irisierend die Essener Pampelmuse im knatschgrünen Kostüm bei der Präsidentenwahl auftrat und sofort losknötterte, noch bevor ihr Kopf eingeschaltet war: „Ich rechne mit nichts“, pappelte sie auf den entgeisterten Mikrofonträger ein, der sie nach ihren Erwartungen für den Wahlgang befragte. Und an ihrem Gesicht war abzulesen: Sie rechnete tatsächlich mit nichts. Da schwappte die Leere hin und her.

Bereits am Morgen floß der edlen Ranke vor der PDS-Fraktion der Mund über: „Die einzigen, wo ich mich noch unter Menschen fühle, sind sie“, radebrechte Tante Uta, und in dem Satz stimmt ja nun rein gar nichts mehr. Einmal im Amt, hätte die alte Quarktasche endgültig explodieren können: als Friedenstaube nach Belgrad fliegen und Miloevic totquallen. Schließlich ist sie nicht aus Eitelkeit, gar Großfraussucht, sondern allein aus „Protest gegen den Krieg“ angetreten. Man könnte zum Kriegsbefürworter werden.

Aus dem Essay-Hause Rutschky stammt die Erkenntnis, daß die „Tante“ eine konstituierende Rolle für die Entwicklung der Bundesrepublik eingenommen hat. Statt weiterhin die Männerpräsidenten den Staatsvater spielen zu lassen, hätte Tante Uta endlich einmal die wichtige weibliche Nebenfigur in die erste Reihe schieben können. Deshalb sei der klügsten Partei der Welt, der PDS, gedankt, die einzig erkannte, welch Oberhaupt dieser Staat und seine Kolumnisten verdient haben. Michael Ringel

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