Massaker in Orahovac

■ Ein Menschenrechtsinstitut in Wien geht Berichten über Massengräber nach, in denen Kosovo-Albaner verscharrt wurden

Presseberichte über Massengräber in der Stadt Orahovac im Kosovo sorgten im vergangenen Sommer für Schlagzeilen. Da die serbischen Behörden keine unabhängige Untersuchung zuließen, sind die Vorfälle, die sich nach dem Einmarsch der Kosovo-Befreiungsarmee UÇK und der anschließenden Rückeroberung durch serbische Einheiten in Orahovac abspielten, bis heute nicht bewiesen. Doch kürzlich hat das in Wien ansässige Ludwig Boltzmann Institut für Menschenrechte (BIM) den Zwischenbericht einer Untersuchung der Menschenrechtsverletzungen in Orahovac (alb. Rahovec) im Juli 1998 vorgelegt, der die Berichte vom vergangenen Jahr größtenteils bestätigt.

„Während der Rückeroberung der Stadt durch serbische Kräfte und unmittelbar danach kam es verschiedenen Berichten zufolge zu schweren und systematischen Menschenrechtsverletzungen: Verschleppungen, Gefangennahme, Folterungen, Verbrennungen und Erschießungen von Albanern, vor allem von Zivilisten“, heißt es in dem Bericht des BIM.

Basierend auf ausführlichen Befragungen von sieben Zeugen, die sich zum fraglichen Zeitpunkt in Orahovac aufhielten, starben allein zwischen dem 17. und 18. Juli vergangenen Jahres 112 Albaner. „Insbesondere wurden genaue Angaben über verschwundene Personen und Massengräber gemacht, in denen diese Personen möglicherweise begraben wurden“, schreiben die Autoren Manfred Nowak, ein ehemaliger Berichterstatter bei der UNO für Verschwundene in Ex-Jugoslawien, der Historiker Enver Hoxhaj und die Juristin Katharina Knauos.

Laut Angaben der Befragten wurde am 20. Juli mit dem Abtransport der Toten begonnen, da am 22. Juli erstmals nach den Kämpfen westliche Journalisten in der Stadt erwartet wurden. Eine Gruppe von Roma aus Prizren, geleitet vom serbischen Zivilisten Jovo Vujisic aus Prizren, sei für den Abtransport der Leichen zuständig gewesen, heißt es in dem Bericht des BIM. Mit Lastwagen der Firma Elektrokosova seien mindestens 87 Leichen abtransportiert worden, nachdem diese in Säcke gesteckt und numeriert worden seien.

Nach Angaben der Befragten wurden die Leichen in drei Massengräbern vergraben: „Die meisten Leichen wurden zu einer alten Mülldeponie transportiert, die sich außerhalb der Stadt, nahe dem Friedhof, auf einem Hochplateau, an der Straße Rahovec – Suhareka befindet. Hier wurden sie gemeinsam mit Tierleichen abgeladen, die dann von Bulldozern mit Erde überdeckt wurden. Dieses Massengrab erfuhr nachträgliche Veränderungen, da es mit Bulldozern der Firma Shehu (Besitzer Sakipi Shehu) mit Müll, alten Hausgeräten, Sand u.a. weiter zugeschüttet wurde.“ Mindestens 55 Leichen seien im Ort Terrasa, außerhalb von Orahovac auf der Straße nach Malishevo, begraben worden. Außerdem wurde von Leichentransporten nach Prizren berichtet, wo 12 Tote am Friedhof nahe dem Krankenhaus der Stadt begraben worden seien. Neben diesem Friedhof gebe es ein Massengrab mit 36 Toten.

Die taz hatte Anfang August 1998 über mutmaßliche Massengräber bei Orahovac berichtet. Unter Berufung auf einen Augenzeugen schrieb Erich Rathfelder damals, 567 Menschen seien in einem Massengrab an der Straße nach Suvareka verscharrt worden. Wegen dieses Artikels verhängten die jugoslawischen Behörden ein Einreiseverbot gegen den Korrespondenten.

Das BIM, das mit dem Internationalen Kriegsverbrechertribunal in Den Haag zusammenarbeitet, weist in seinem Bericht darauf hin, daß die geringe Zahl von Zeugen keine wissenschaftlich begründeten Schlußfolgerungen über konkrete Ereignisse zuläßt. Insbesondere könnten keinerlei Aussagen über behauptete Menschenrechtsverletzungen durch die UÇK gemacht werden. Aber: „Wegen der beschränkten Anzahl der Befragten stellt das Ergebnis dieser Studie nur einen Bruchteil des Gesamtbildes der Geschehnisse im Juli 1998 dar.“ Deshalb sollen nun weitere Zeugenbefragungen durchgeführt werden.

Das Ludwig Boltzmann Institut für Menschenrechte, das 1992 gegründet wurde, ist eine außeruniversitäre Forschungseinrichtung der Ludwig Boltzmann Gesellschaft in Wien, vergleichbar dem Max-Planck-Institut in Deutschland. Der Schwerpunkt der Arbeit des BIM lag zunächst auf der Erstellung von Berichten über die Situation in den Herkunftsländern von nach Österreich geflüchteten Asylbewerbern. Der Bericht über Orahovac ist der erste des Instituts, der sich mit dem Kosovo beschäftigt. Der Abschlußbericht, für den die weiteren Zeugen befragt werden, soll im September veröffentlicht werden. Beate Seel

Ludwig Boltzmann Institut für Menschenrechte, Heßgasse 1, A - 1010 Wien