: Der Würger von der Westküste
American Pie: Latrell Sprewell verwandelt die New York Knicks nicht nur in ein rasantes Basketballteam, sondern auch in einen Titelanwärter der NBA ■ Von Matti Lieske
A long, long time ago
Latrell Sprewell sieht nicht nur aus wie ein Gangsta-Rapper, manchmal benimmt er sich auch so. Ein Jahr lang mußte der Basketballprofi pausieren, nachdem er P. J. Carlesimo gewürgt hatte, seinen Coach bei den Golden State Warriors, der vorher schon so manchen anderen Spieler zur Weißglut gebracht hatte. Sogar der wilde Isiah Rider war in Portland jedoch besonnen genug, sich nicht zu solch einer Harakiri-Aktion wie Sprewell hinreißen zu lassen.
Nach Ablauf der Sperre waren es ausgerechnet die New York Knicks, die den Würger von Oakland verpflichteten, jener Klub, dessen Präsident Dave Checketts stets lauthals verkündet hatte, daß er niemals einen Spieler mit schlechtem Ruf beschäftigen werde. Es sollte nicht das einzige Mal bleiben, daß Checketts nicht die Wahrheit sprach, doch im Falle Sprewell scheint ihm der Erfolg recht zu geben. Zwar bot „Spree“ am Montag abend beim 79:66 gegen die Atlanta Hawks, mit dem die Knicks die Serie 4:0 gewannen und ins Finale der Eastern Conference gegen die Indiana Pacers einzogen, eine durchschnittliche Leistung, aber dafür hatte er mit zwei formidablen 31-Punkte-Partien in Atlanta den Grundstein für das Weiterkommen gelegt.
Dabei wollte Sprewell seinen Klub eigentlich verklagen. Im April, als noch alles drunter und drüber ging in New York, brummte ihm Checketts 25.000 Dollar Strafe fürÄußerungen auf, die sein Agent getätigt hatte. Wenn Sprewell weiterhin bloß von der Bank kommen dürfe, hatte der gemuffelt, dann werde man einen Transfer verlangen. Obwohl sich sein Schuhsponsor erbot, das Bußgeld zu bezahlen, schaltete Sprewell die Spielergewerkschaft ein, die juristisch gegen den Klub vorging. Seit die Knicks jedoch plötzlich am NBA-Titel schnuppern, liegt die Sache erst mal auf Eis. Sprewell kommt zwar immer noch von der Bank, hat sich aber vorläufig damit abgefunden und hofft außerdem, daß die Knicks ihm den bereits von seinem Gehalt abgezogenen Betrag angesichts seiner derzeitigen Verdienste stillschweigend zurücküberweisen.
Dave Checketts hat ohnehin andere Sorgen. Im April, als nichts darauf hindeutete, daß New York überhaupt die Playoffs erreichen könnte, hatte er nicht nur Generalmanager Ernie Grunfeld gefeuert, sondern auch mit Phil Jackson, dem ehemaligen Coach der Chicago Bulls, Gespräche über eine eventuelle Nachfolge von Cheftrainer Jeff van Gundy geführt. Das ist nicht verwerflich, nur hatte Checketts die Kontaktaufnahme beharrlich abgestritten – auch gegenüber van Gundy. Am Montag saß er dann mit clintonesker Zerknirschtheit vor den Medienvertretern und sagte kleinlaut: „Es tut mir leid, daß ich gelogen habe.“
Die 20.000 Zuschauer quittierten die Affäre danach mit vehementen „Jeff van Gundy!“-Chören und Ovationen für den Coach, der die Knicks vor vier Jahren von Pat Riley übernahm, aber von den Fans nie richtig akzeptiert wurde. Ausgerechnet als seine letzte Stunde als Coach gekommen schien, wendeten sich die Dinge zum Guten. Plötzlich klappt alles bei der Mannschaft, die gerade noch als achtes Team in die Playoffs gerutscht war. Center Patrick Ewing, verletzungsgeplagt, hat sich damit abgefunden, daß er nicht mehr die einzige Option im Angriff ist, Shooter Allan Houston strotzt vor Selbstbewußtsein, und die beiden umstrittenen Neuzugänge Sprewell und Marcus Camby trumpfen auf einmal groß auf. „Sie spielen gut an beiden Enden des Platzes, sie spielen zusammen, und jeder, der hineinkommt, paßt sich gut ein“, sagte Atlantas Steve Smith beeindruckt. „Es hat gefunkt“, meint Sprewell.
Das neue Knicks-Team ist das Werk von Ernie Grunfeld, der jetzt natürlich triumphiert: „Langsam sehen die Leute, warum ich diese Entscheidungen getroffen habe.“ Latrell Sprewell zum Beispiel spielt das, was gemeinhin als „Westküsten-Basketball“ gilt: rasant, spektakulär, erfolglos. Das einzige Team, das auf diese Weise Meister wurde, waren die Lakers der 80er Jahre, ansonsten dominierte am Ende immer der Osten. Abgesehen von den zwei Jahren der Houston Rockets, 1994 und 1995, natürlich – aber die spielten, obwohl in der Western Conference angesiedelt, Ostküsten-Basketball. Der quirlige Sprewell wirkte im traditionell behäbigen Knicks-System zunächst wie ein Frosch im Karpfenteich, inzwischen jedoch spielt das ganze Team Westküsten-Basketball. So viele Fastbreaks wie in diesen Playoffs gab es sonst bei New York in zwei Jahren nicht zu sehen. Das kommt auch Camby zugute, dessen Verpflichtung besonders angefeindet wurde, weil man für ihn den rauhbeinigen Publikumsliebling Charles Oakley nach Toronto abschob. Inzwischen hat jedoch auch der letzte Knicks-Fan gemerkt, daß ein Dunking wie jener von Camby über Atlantas Dikembe Mutombo, bei dem der 25jährige von der Freiwurflinie absprang, erheblich schöner anzusehen ist als das statische Gewürge unter dem Korb, das in den 14 Ewing-Jahren Standard in New York war.
Patrick Ewing hatte anfangs Probleme mit seiner reduzierten Rolle, inzwischen hat aber auch er gemerkt, daß ihm die neue chemische Verbindung bei den Knicks den ersehnten Meisterschaftsring bringen könnte. „Er hat eingesehen, daß wir die Sache alle gemeinsam durchziehen“, sagt Allan Houston. Den Weg zum Finale gegen San Antonio, Utah oder Portland blockieren ab Sonntag allerdings noch die Indiana Pacers, die ihre Runden gegen Milwaukee und Philadelphia ohne Niederlage gewannen.
„Wir wollen Reggie!“ forderten die Fans im Madison Square Garden in Anspielung auf ihren Lieblingsfeind von den Pacers, Reggie Miller, siegesgewiß, und auch Millers bewährte Nemesis, der Filmemacher und Knicks-Superfan Spike Lee, ist seit Allan Houstons entscheidendem Zauberwurf in der Serie gegen Miami überzeugt: „Das ist unser Jahr.“
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