: China Atomspionage vorgeworfen
Ausschuß des US-Repräsentantenhauses veröffentlicht Untersuchungsbericht über chinesische Atomspionage. Kein zweiter Fall Rosenberg ■ Aus Washington Peter Tautfest
Der lang erwartete und bisher geheime Untersuchungsbericht über den chinesischen Diebstahl atomarer Geheimnisse ist gestern in Washington veröffentlicht worden. Der Inhalt des sogenannten Cox-Reports ist schon seit Wochen Gegenstand heftiger Diskussion und gegenseitiger Schuldzuweisung. Zu einem Zeitpunkt, da US-Historiker, auf sowjetische und amerikanische Archive gestützt, jetzt glauben nachweisen zu können, daß die Baupläne für die erste US-Atombombe tatsächlich von just denen, die sie entwickelt hatten, an die Sowjetunion verraten wurden, scheint es sich auf den ersten Blick um einen zweiten Fall Rosenberg zu handeln. Das Ehepaar Julius und Ethel Rosenberg war nach einem Schauprozeß wegen Geheimnisverrats 1953 hingerichtet worden.
Im Zentrum des Skandals steht der aus Taiwan stammende Wissenschaftler Wen Ho Lee, der die Baupläne für die modernsten US-Atomwaffen an China verraten haben soll. Doch anders als die Rosenbergs wurde Wen Ho Lee bisher nicht angeklagt, obwohl er inzwischen aus dem US-Atomwaffenlabor Los Alamos entlassen wurde. Anfang 1995 hatten Wissenschaftler in Los Alamos bei Analyse der seismographischen Daten chinesischer Atombombenversuche den Verdacht, daß China über modernste Atomwaffen verfügt. Diesen großen Sprung von einer Waffentechnologie der 50er Jahre konnte China nur, so der Verdacht, durch den Diebstahl amerikanischen Know-hows geschafft haben. Am 6. März dieses Jahres machte die New York Times den Verdacht öffentlich. Das Blatt bekam wenig später den Pulitzerpreis für einen Artikel, in dem versucht wurde nachzuweisen, daß die Clinton-Regierung den Geheimnisverrat einer US-Satellitenfirma an Peking geduldet habe, weil China Clintons Wahlkampf unterstützt haben soll.
Die Nachricht von der Atomspionage fiel mitten in eine Atmosphäre aus Korruptions- und Verratsverdacht. Zwar soll sich der Atomdiebstahl bereits seit den 70er bis Mitte der 90er Jahre ereignet haben und fiele somit auch unter die Verantwortung der Regierungen Reagan und Bush. Der Clinton-Regierung aber wird vorgeworfen, dem Verdacht nur nachlässig nachgegangen zu sein.
Derweil arbeitete ein parlamentarischer Untersuchungsausschuß unter Leitung des kalifornischen Abgeordneten Christopher Cox an einem Bericht, der sofort nach Fertigstellung als geheim deklariert wurde. In langwierigen Verhandlungen zwischen Kongreß und Weißem Haus wurde schließlich die gestern veröffentlichte Version ausgearbeitet.
Die liest sich wie ein Spionagethriller, dem aber das Entscheidende fehlt: ein Verdächtiger. Auch die Spionageabwehr im US-Energieministerium, der das Atomwaffenprogramm untersteht, gibt zu, daß es letztlich keinen Beweis für die Übergabe von Geheimnissen gebe.
Die Hysterie um chinesische Atomspionage hält sich in Grenzen. Nur der konservativste Flügel der Republikaner scheint an einer Neuauflage des Kalten Krieges interessiert. Gleichwohl mobilisiert der Spionageverdacht antichinesische Ressentiments, die sich in boshaften Verdächtigungen gegenüber den vielen Amerikanern chinesischer Herkunft äußern.
Kühle Köpfe wie der Leiter des Militärischen Abschirmdienstes beim Pentagon, Patrik Hughs, weisen darauf hin, daß Amerikas Atomarsenal 375mal größer sei als das chinesische und daß der Sprung von minimaler Vergeltungskapazität zur Erstschlagskapazität für China noch auf Jahrzehnte hinaus technisch unmöglich und finanziell unerschwinglich sein werde.
Chinas Außenministerium erklärte gestern, der Cox-Bericht entbehre jeder Grundlage. Gewisse US-Kreise wollten lediglich antichinesische Stimmungen schüren, andere vom Raketenangriff auf die chinesische Botschaft in Belgrad ablenken. Kommentar Seite 13
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen