Die mordende Jungfrau

Fast wie im Märchen: Die Jungfrau von Orleans in der Regie von Matthias Hartmann im Deutschen Schauspielhaus  ■ Von Liv Heidbüchel

Was einem auf den ersten Blick wie eine Traumkarriere vorkommt, entpuppt sich auf den zweiten oft als ein mit diversen Haken versehenes Unterfangen. Schließlich erscheint es unfaßbar sagenhaft, wenn zum Beispiel eine eigenbrötlerische Schafhirtin zur kämpferischen Heeresführerin aufsteigt und direkt an den königlichen Hof befördert wird - und das alles innerhalb eines einzigen Monats.

Jeanne d–Arc, die heilige Johanna, war eine, die mit so einem kriegerischen Lebenslauf glänzen konnte. Allerdings entspringt sie dem Geiste Friedrich Schillers und fiele somit in die Kategorie der Märchenfiguren, wenn sich der Dichter nicht von der historischen Gestalt eines lothringischen Bauernmädchens hätte inspirieren lassen. Diese verhalf nämlich während des hundertjährigen Krieges mit England den Franzosen zum Sieg, machte sich dadurch aber verdächtig, mit dem Teufel unter einer Decke zu stecken. Als Dank wurde sie als Hexe verbrannt.

Aus diesem Material erschuf Schiller 1801 die romantische Tragödie Die Jungfrau von Orleans, die Matthias Hartmann am Schauspielhaus inszeniert. Für Hartmann wird es die letzte Arbeit in Hamburg sein: Ab Sommer 2000 wechselt er als Intendant an das Schauspielhaus Bochum.

Das martialische Geschehen um die Jungfrau Johanna (Karin Pfammatter) erhält im Schatten des Kosovo-Krieges einen „merkwürdigen Drall“, gibt Hartmann zu. Doch er behält sich vor, von jedweder Aktualisierung Abstand zu nehmen. Vielleicht ein weiser Entschluß; immerhin schwingt Johanna, von göttlicher Hand geleitet, das Schwert für ihr Frankreich - gerade so, wie es ihr die Muttergottes befahl.

Voraussetzung für ihr Tun ist ihre Unberührtheit: Rein wie Maria zieht sie in den Krieg, mordet im Auftrag Gottes und läßt ihr Herz vor Patriotismus überlaufen. Doch der Haken an diesem Siegeszug wartet schon um die Ecke. Auf Johannas Aufstieg folgt unausweichlich ihr Abstieg.

Sie verliebt sich im Kampf in einen der Feinde und verstößt somit gegen das Jungfräulichkeitsdogma. Doch einmal als Medium Gottes gewählt, bleibt ihr gar nichts anderes übrig, als ihre Aufgabe zu erfüllen und Frankreich zum Sieg zu verhelfen. In der alles entscheidenden Schlacht läuft mit ihrer tödlichen Verletzung auch ihre Lizenz zum Töten ab.

Hartmann fokussiert seine Inszenierung auf die Figur der Johanna als einer Person, die eine Probe zu bestehen hat. Dadurch schafft er sich die Legitimation, das kriegerische Gemetzel als einen „extremen Vorgang, durch den Johanna durchmuß“ darzustellen. Die Schauspielerin Pfammatter kommt ihm bei seiner Sicht auf das Stück sehr entgegen. Hartmann: „Ich glaube, Karin kannte den Schiller, als er das Stück schrieb.“ Und vielleicht tut sie das ja tatsächlich auf eine Art. Denn zweifelsohne braucht man einigen Mut, die aus heutiger Sicht überbordende Sprache Schillers ohne kitschiges Pathos zu spielen.

Der einzige Weg zum Stück führt für Hartmann über die Poesie. Auf diesem Weg brauchen auch die Zuschauer Mut zum Urtheatralischen.

So, 30. Mai, 19 Uhr, Deutsches Schauspielhaus