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Lehrerdemo: „Lebwohl, Bringfriede“, „farewell“

■ 1.500 LehrerInnen im Jekyll & Hyde-Theater warfen der Bildungssenatorin gestern wütend „Unkommunikation“ vor

„Lebwohl, Bringfriede“, „farewell“, sangen einige hundert Bremer LehrerInnen gestern Mittag auf dem Marktplatz. Sie waren von ihrer Personalversammlung dorthin gezogen, um auch öffentlich für die Besetzung freiwerdender Lehrerstellen und dafür zu demonstrieren, daß Bildung zur „Zukunftsaufgabe der Politik“ wird – nach der Wahl. Das Musical-Theater, das der Personalrat für eine Mark zur Verfügung gestellt bekommen hatte, war brechend voll. Die Personalversammlung war eine vernichtende Abrechnung der LehrerInnen mit vier Jahren Bildungspolitik der Senatorin Bringfriede Kahrs (SPD) und der Großen Koalition. Thomas Koball vom Personalrat Schulen stellte einen „tiefen Graben“ zwischen der Senatorin und den LehrerInnen fest, schlichte „Unkommunikation“. Hinzu käme die materielle Situation, der Stellenabbau, die Kürzungen bei den Lernmitteln und der miserable Zustand der Schulgebäude. Die Realität stehe in deutlichem Gegesatz zu den schönen Erklärungen der Wahlprogramme einer „Allparteienkoalition“, in denen Bildung als Investition in die Zukunft dargestellt würde. Weiter so? „Bitte nicht“, sagte der Personalratsvertreter unter großem Beifall der mehr als 1.500 anwesendenden LehrerInnen und bat die Senatorin um eine Erklärung.

Die trat ans Rednerpult, nestelte ihre Sprechzettel hervor und begann vorzutragen was ihr aufgeschrieben worden war – als wolle sie ein Beispiel für die „Unkommunikation“ geben. Sie ging nicht auf die Fragen des Personalrat-Vertreters ein, sondern versuchte eine Eselsbrücke: Die „Unkommunikation“ habe Ursachen, erklärte sie, es gebe einen „Paradigmenwechsel“: Wenn die Schulen mehr Autonomie bekämen, müßten sie sich Leistungskontrollen gefallen lassen. Unruhe kam im Saal auf: „Das wissen wir doch alles“, rief jemand von hinten. Alle Waller Schulen sind dagegen, daß es dort ein durchgängiges Gymnasium gibt, und wissen, daß ihr Votum keine Rolle spielt. „Ich kann mir nicht vorstellen, daß meine Partei einem weiteren Gymnasium zustimmt“, erklärt die verantwortliche Senatorin Kahrs dazu – als hätte sie heute schon nichts mehr zu sagen in der Bildungspolitik. Und zu dem USUS-Leistungstest, für den die versammelte Lehrerschaft nur Hohn und haßerfüllten Spott übrig hat, wabern Worte aus ihrem Mund: USUS sei „möglicherweise in Ansätzen verbesserungswürdig“. Bei solchen Sätzen konnten die meisten nicht mehr zuhören.

„Ich hoffe, daß es gelingt, die Schulen besser auszustatten“, versuchte die Senatorin noch einen Schritt auf die wütenden Lehrer zuzugehen, es habe im Bil-dungsetat eine „Unterfinanzierung“ gegeben. Der CDU-Bil-dungspolitiker Klaus Bürger sprach später offen aus, was so mancher gedacht haben muß: Hatte die Senatorin ihrem Etat nicht zugestimmt?

„Meine Schüler würden sagen: Verarschen kann ich mich selbst“, konterte der Lehrer Peter Köster. Tosende Zustimmung im Saal. „Für einen Klassensatz neuer Bücher trage ich eine Woche lang ein I like Bringfriede-T-Shirt“, rief der Waller Lehrer Hans Göhlert der Senatorin entgegen. Der USUS-Test sei ein „inkompetentes Chaos-Projekt“, erklärte Lehrer Dieter Heilbronn. Nicht einmal die Bewirtschaftung der Schulpark-Plätze bekomme die Behörde hin: Am Anfang sei mit einer Million Mark zusätzlicher Einnahmen für den Bildungsetat kalkuliert worden, derzeit werde realistischerweise noch mit 47.000 Mark gerechnet. Der „Wirkungsgrad der Bildungspolitik“ liege bei dem einer alten Dampfmaschine, 16 bis 20 Prozent.

Auf ihrer letzten Personalversammlung hatten die LehrerInnen eine Umfrage gemacht: „Welches war die bildungspolitische Entscheidung mit den positivsten Auswirkungen auf Ihren Arbeitsplatz?“ lautete eine Frage. 166 von etwa 250 Lehrern antworteten: „keine“. Auf die Frage nach den dringensten bildungspolitischen Maßnahmen antworteten 156 mit „Neueinstellung junger KollegInnen“. Der statistische Altersdurchschnitt liegt derzeit bei 50 Jahren.

Die Bildungssenatorin meldete sich ein zweites Mal auf der Personalversammlung und versicherte, sie wolle den „begonnenen Dialog nicht abreißen lassen“. K.W.

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