: „Systematische Ausgrenzung“
■ Die Landesfrauenbeauftragte Hauffe fordert nach den Wahlen mehr frauenpolitisches Bewußtsein ein: Den Politikerworten folgen zu wenig Taten
taz: Kurz vor der Wahl haben Sie als Landesfrauenbeauftragte acht Seiten an „frauenpolitischen Forderungen“ herausgegeben – während Parteien diesmal mit frauenpolitischen Versprechungen nicht hausieren gehen, anders als in früheren Wahlkämpfen. Auch laute Forderungen von Frauen selbst sind nirgens zu hören. Fühlen Sie sich ein bißchen im Stich gelassen?
Ulrike Hauffe, Landesfrauenbeauftragte: Ich fühle mich nicht im Stich gelassen – und es ist auch nicht so, daß die Parteien nichts in ihren Wahlprogrammen stehen haben. Manche zwar nur einen Punkt, aber andere ganz viele. Insgesamt sind es aus unserer Sicht natürlich erheblich zu wenig.
Haben Sie denn angesichts der großen Ruhe vor der Wahl das Gefühl, daß Frauen sich für ihre Belange genug einsetzen?
Frauenpolitik ist eine Querschnittsaufgabe, die für Frauen geschieht; sie nützt Frauen und Männern. Wir gehen dies als Frage der Geschlechterdemokratie an. Es gibt durchaus Männer, wenige zwar bisher, aber vielleicht mehr und mehr, die sich auch der geschlechterdemokratischen Frage verpflichtet fühlen.
Mit deren Engagement kann es nicht weit her sein, wenn Sie zugleich feststellen, daß nach neun Jahren Landesgleichstellungsgesetz viele seiner Teile immer noch unzureichend erfüllt werden.
Daß es Männer mit fortschrittlichem Geschlechterverständnis gibt, heißt noch lange nicht, daß sich die Strukturen in den Behörden schon grundlegend verändert hätten.
Im Senat ist Frauenpolitik – oder die Geschlechterfrage – nach wie vor nicht zu einer zentralen Fragestellung in allen Politikbereichen gemacht worden. Im Gegenteil: Das Landesgleichstellungsgesetz, das im Grunde ja klar vorschreibt was zu tun ist, hat in seiner Umsetzung sogar ausgesprochene Lücken. Es gibt beispielsweise eindeutige aber ungeahndete Gesetzesverstöße.
Was ärgert Sie da am meisten?
Mich stört die Art und Weise, mit der die Arbeit der Frauenbeauftragten behindert wird, obwohl das Regelungskonstrukt des Landesgleichstellungsgesetzes klare Vorgaben macht. Mich ärgert aber auch die systematische Ausgrenzung von Frauen aus bestimmten Berufsfeldern und aus bestimmten Hierarchieebenen.
Apropos Ausschluß von Frauen: Einem zentralen Punkt der rot-grünen Bundesregierung, dem Bündnis für Arbeit, haben Sie kleine fünf Zeilen Forderung gewidmet: „Beim Bremer Bündnis für Arbeit Frauen angemessen berücksichtigen.“ Bundesweit sind Frauen hinten runtergefallen, als es um die Besetzung der maßgeblichen Gremien ging, in Bremen war das nicht anders.
Das liegt daran, daß das Bündnis für Arbeit im Land Bremen schon ausgerufen ist – aber bisher tatsächlich ohne jede Beteiligung der Frauensenatorin. Sie hat dieselbe Notwendigkeit der Teilnahme wie der Arbeitssenator. Frauen sind nun mal die Hälfte Sorte Mensch und streben auch auf den Arbeitsmarkt. Dabei geht es nicht darum, daß da eine Frau als Frau sitzt, sondern darum, daß die Belange von Frauen Berücksichtigung finden. Man braucht Ombudspersonen – ob auf Landes- oder Bundesebene, wo man Frauensenatorin Bergmann auch „vergessen“ hatte. Dadurch, daß man nach Frauenprotesten Gesundheitsministerin Fischer dazu rief – damit eine Frau dabei ist – kann es nicht getan sein.
Nach Ihren ersten hundert Tagen im Amt haben Sie der taznoch gesagt, „die Politiker hören mir gut zu“. Jetzt wird man das Gefühl nicht los, daß mehr als Zuhören nicht geschieht?
Ja, an Taten mangelt es. Dabei habe ich den Eindruck, daß die Dinge, die ich transportiere, durchaus verstanden werden. Ich habe kürzlich, im Vorfeld der Wahlen, mit Vertretern aller Parteien gesprochen – und zu vielen Punkten gute Resonanz erhalten. Viele meiner Forderungen werden als vernünftig bewertet. Ich erwarte jetzt, daß sich das ab Juni auch in der Politik niederschlägt.
Sie fordern unter anderem, die öffentliche Auftragsvergabe mit Frauenförderung zu koppeln und dies in der nächsten Legislaturperiode per Landesgesetz zu regeln. Von wem haben Sie denn dafür Zusagen bekommen?
Das ist tatsächlich einer der strittigsten Punkte – zwar nicht in den Parteien, die sich eher als links betrachten, aber schon innerhalb der SPD geht die Uneinigkeit los. CDU, FDP und AfB haben dagegen klar gesagt: Nicht mit uns. Die wollen weg von Reglements.
In welchen Bereichen soll es für Frauen denn besser werden? Bei den Ganztagsschulen?
Die Ganztagsschulen rufen zwar zuerst Widerstand hervor. Das aber nicht deshalb, weil die Forderung falsch ist, sondern weil die Finanzierbarkeit problematisch ist. Wenn ich dann aber erkläre, daß die konsequente Zusammenführung von Schule und Hort bei einer Ausweitung des Hortangebotes in der Konsequenz zu einer Ganztagsbetreuung führt, dann wird meine Forderung auch verstanden. Und genau das möchte ich gerne als politische Zielformulierung durchsetzen. Die Versorgung von Kindern würde dadurch erheblich verbessert, weil Schule nicht nur Lern-, sondern auch Lebensraum würde.
Frauen haben auch deshalb wenig zu melden, weil sie wenig verdienen, oft arbeitslos und nicht zufällig zugleich Mütter sind. Sie fordern, die Bildungschancen junger Mütter zu verbessern.
Hier geht es mir um ein Projekt, das es jungen Müttern ermöglicht, einen qualifizierten Schul- und Berufsabschluß zu bekommen – und zwar mit integrierter Kinderbetreuung. Das Projekt ist finanziell nicht langfristig gesichert – und da erwarte ich, daß das als Regelangebot abgesichert wird.
Auch beim Thema „häusliche Beziehungsgewalt“ gibt es stadtweit Forderungen nach mehr Geld und Klagen über die wackelige Finanzierung.
Ja, das Firmensponsoring für ein Projekt, das sich um schlagende Männer und geschlagene Frauen im Bremer Westen kümmert, ist ausgelaufen und muß gesichert werden. Aber aus meiner Sicht muß vor allem eine Kampagne finanziert werden, die das Thema häusliche Gewalt öffentlich macht. Und wir müssen die Strukturen verbessern, um das Thema Gewalt in Beziehungen anzugehen. Bremen muß sich im Bundesrat um eine Gesetzesänderung bemühen, die ermöglicht, schlagende Männer sofort aus der Wohnung zu weisen.
In Ihren Forderungen findet sich auch, ganz klein, das Wörtchen Innovation. Autonome Frauen aus den Projekten kritisieren schon lange, daß staatliche Frauenpolitik davon lebt, „autonome“ Ideen zu vereinnahmen – ohne jemals in dieses „Innovationspotential“ zu investieren. Woran denken Sie denn, wenn Sie von Innovation sprechen?
Ach, es gibt unglaublich viel Innovatives zu tun. Ich empfinde es schon als innovativ, wenn ich sage, daß wir die Geschlechterdemokratiefrage ins Zentrum unserer Gedanken stellen müssen. Als Folge davon müßten unglaublich viele Facetten neu gedacht werden; Arbeit beispielsweise muß neu definiert werden. Arbeit hat drei Säulen – die Erwerbsarbeit, die Familienarbeit und die Gemeinwesenarbeit. Unsere Sozial- und Rentengesetzgebung geht aber nur vom Erwerbsarbeitsmodell aus – anstatt auch die anderen Arbeiten rentenfähig zu machen. Eine absolute Innovation wäre es, die Bundesregierung würde endlich die drei Säulen zu einem notwendigen Arbeitsbegriff erklären und die Sozial- und Rentenabsicherung darauf aufbauen. Dann würden Männer genauso in die Verpflichtung geraten, weil sie ansonsten Renteneinbußen hinnehmen müßten. Das fände ich absolut innovativ und politisch hochspannend; das würde ich unglaublich gerne in Bewegung setzen.
Bremisch gedacht – was könnte das heißen?
Daß wir im Rahmen des öffentlichen Dienstes versuchen, derartige Denkmodelle in Form von Teilzeitmodellen auch in Leitungspositionen umzusetzen – undundund. Dabei müßte man die Arbeitszeitorganisation zu einer grundsätzlichen Frage erklären – und nicht nur zu einer individuellen. Bremen könnte auch auf Bundesebene innovativ impulsgebend tätig werden. Dafür gibt es in Bremen genug kluge Frauen und Männer. Es gibt genug durchgerechnete Grundlagen, die uns ermöglichen, eine derartige Forderung aufzustellen. Ich fände wunderbar, wenn wir langfristig zu einer Umverteilung von Arbeit kämen. Aber das ist ein Jahrhundertprojekt. Fragen: Eva Rhode
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