Die erste Solidaritätswelle ist vorüber

■ Frankreich

Für Flüchtlinge aus dem Kosovo ist Frankreich das, was es für andere Flüchtlinge auch ist: eine geschlossene Gesellschaft. Seit Beginn des Nato-Krieges gegen Jugoslawien schafften nur 3.000 Kosovaren den Weg dorthin. Sie kamen in kleinen Gruppen von 300 bis 500 Menschen und erhielten Duldungspapiere für drei Monate. Im Gegensatz zu Deutschland genießen die Flüchtlinge immerhin Freizügigkeit und dürfen auch einer bezahlten Beschäftigung nachgehen. Die Pariser Regierung hatte die tröpfchenweise Aufnahme von Flüchtlingen von vornherein zu ihrer erklärten Absicht gemacht. Erste Priorität sollte haben, die Flüchtlinge möglichst in ihrer Herkunftsregion zu halten. Man wolle nicht das Vertreibungsgeschäft Miloevics mitmachen, heißt es dazu in Paris.

Tatsächlich kam die Regierung mit dieser restriktiven Politik zahlreichen innenpolitischen Kritikern zuvor. Unter anderem jenen aus den eigenen Reihen, die in den vergangenen Monaten hinnehmen mußten, daß 70.000 Immigranten, die seit Jahren im Land leben und Anträge auf Aufenthaltsgenehmigungen gestellt hatten, von Innenminister Jean-Pierre Chevènement abgelehnt wurden. Angesichts der Anwesenheit dieser vielen tausend unfreiwilligen sans papiers – Papierlosen – im Lande wäre es schier unmöglich gewesen, die massive Aufnahme von kosovo-albanischen Flüchtlingen zu rechtfertigen.

Zumal auch in Paris niemand daran zweifelt, daß die meisten Kosovaren auch nach Kriegsende bleiben werden. Als Voraussetzungen für die vorübergehende Aufnahme in Frankreich nannte Premierminister Lionel Jospin Familienzusammenführungen und medizinische Notfälle. Bei dieser Politik ist es seit Kriegsbeginn geblieben. Lediglich ein paar Menschenrechts- und Antirassismusorganisationen sowie einzelne Kommunisten und die trotzkistischen Parteien LCR und LO kritisieren sie heute lautstark.

Der erste Eindruck von dem Kriegsgeschehen und seinen Opfern scheint in Frankreich lange zurückzuliegen. Die Bilder von überfüllten Bahnsteigen; von Zügen, die von außen verriegelt waren; von Tausenden ärmlich gekleideten Menschen, die von Soldaten über enge Wege gedrängt wurden, hatten in Frankreich vor zwei Monaten eine nie gesehene Welle von Sympathie und Hilfsbereitschaft ausgelöst. Hunderttausende standen Schlange, um Päckchen für das Kosovo zu kaufen und zu verschicken. 8.000 meldeten sich bei der Hotline, die die Regierung eingerichtet hatte, um Privatunterkünfte für Flüchtlingsfamilien zu finden. In allen Landesteilen gab es Solidaritätskonzerte und -veranstaltungen. Inzwischen sind die Aufrufe zu Spenden für das Kosovo aus vielen Schaufenstern verschwunden. Die potentiellen GastgeberInnen haben in den meisten Fällen keine Kosovaren gesehen, denn bei näheren Nachfragen stellte sich heraus, daß kaum jemand mehr als „eine Familie mit zwei Kindern“ aufnehmen wollte.

Dorothea Hahn