: „Die vom UN-Tribunal können Milosevic mal!“
■ Die Haager Anklage gegen Jugoslawiens Präsidenten stößt in Serbien auf Unverständnis
Auf die Anklage gegen Jugoslawiens Präsidenten, Slobodan Miloevic, vor dem UN-Kriegsverbrechertribunal in Den Haag wegen angeblicher Kriegsverbrechen im Kosovo gab es gestern in Belgrad vorerst gar keine offiziellen Reaktionen. Alle Zeitungen, TV- und Radiosender verschwiegen schlicht diese Information.
Trotzdem verbreitete sich der Slogan „Slobodan soll vors Kriegsgericht kommen“ wie ein Lauffeuer in der jugoslawischen Hauptstadt. Die Nachricht verbreitete sich von E-Mail zu E-Mail, wenn es gerade Strom gab. Wer Satellitenfernsehen sieht, benachrichtigte Freunde und Nachbarn. Die häufigste Reaktion war: „Die können ihn mal!“
„Gott, ist das zynisch! Dieses Tribunal ist doch eine verlängerte Hand der amerikanischen Administration. Wenn sie schon Miloevic anklagen, warum dann nicht auch gleich Tudjman und Izetbegovic!“ sagte der pensionierte Oberst Radoslav Stepanovic. Und wer sei verantwortlich für den Tod von über 200 Zivilisten seit dem Beginn der Nato-Aggression? Dieses komische Tribunal solle lieber Clinton anklagen.
Niemand in Serbien glaubt an die Selbständigkeit des Vorgehens von Chefanklägerin Louise Arbour und des Tribunals. Es geht auch nicht allein um die Anklage, sondern um den Zeitpunkt, zu dem sie erhoben worden ist – mitten in den Verhandlungen Tschernomyrdin/Ahthisaari/Talbott in Moskau und unmittelbar vor Tschernomyrdins geplanter Abreise nach Belgrad, wo er Miloevic über neue Vorschläge für eine Lösung der Krise hätte informieren sollen.
Das Haager Tribunal hat in Jugoslawien einen schlechten Ruf und gilt als eine „antiserbische Institution“, die Amerika gegründet hat, weil es das legitime internationale Gericht in Haag, das dem Einfluß Washingtons nicht unterliegt, nicht anerkennt. Die Anklage gegen Miloevic erschwert es der serbischen Opposition, gegen ihn aufzutreten. Selbst diejenigen, die den jugoslawischen Präsidenten kritisieren, werden sich nun gegen die Anklage einsetzen und so Miloevic indirekt unterstützen. Ein ähnliches Phänomen war in Bosnien zu beobachten, als der Serbenführer Radovan Karadic vom Haager Kriegsverbrechertribunal angeklagt wurde.
„Wenn überhaupt jemand dieses lächerliche Tribunal ernst nimmt, dann sollte Miloevic jetzt von den Friedensverhandlungen ausgeschlossen werden“, erklärte ein angesehener Belgrader Anwalt, der nicht genannt werden wollte. Das würde heißen, daß die Nato bis zum bitteren Ende gehen müßte, also ein Einmarsch von Bodentruppen in das Kosovo und der Vormarsch auf Belgrad. Die Anklage sei ein Produkt der militanten Linie in der US-Administration. Es werde interessant sein, wie Europa darauf reagiere, was Athen und Rom, die gerade erst ihre Botschafter nach Belgrad zurückgeschickt haben, tun würden.
Ein Ex-Gefährte Miloevic', der ihn sehr gut kennt, erklärte gegenüber der taz, die Anklage könnte den eitlen Präsidenten dazu bewegen, noch härter und unnachgiebiger vorzugehen. Für Miloevic sei die Anklage eine Beleidigung, die ihn als Machtfaktor in Frage stelle. Warum sollte er bewaffnete Truppen ins Land lassen, die ihn aufgrund des Haftbefehls entmachten könnten? Andreij Ivanji, Belgrad
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen