Kommentar: Rollenwechsel
■ Milosevic: Der Verhandlungspartner ist nun Kriegsverbrecher
Die Anklage Miloevics und mehrerer Mitglieder seiner Regierung vor dem UN-Kriegsverbrechertribunal in Den Haag kommt nicht überraschend. Im Gegenteil: Dieser Schritt war überfällig, zumal das Gericht seit längerem Beweismaterial sammelt und Miloevic bereits wegen der Kriegsverbrechen in Bosnien-Herzegowina hätte anklagen können. Allein – zu denken gibt der Zeitpunkt der Anklageerhebung gegen einen Mann, der für die Verantwortlichen im Westen und um eine diplomatische Lösung der Kosovo-Krise Bemühten bislang in Belgrad die erste Adresse war.
Und genau darin besteht das Problem. Soll Rußlands Balkanbeauftragter Wiktor Tschernomyrdin fortan mit einem steckbrieflich gesuchten Kriegsverbrecher verhandeln? Und was wäre dessen Unterschrift unter einen Friedensvertrag überhaupt noch wert? Soviel ist sicher: Der Vorstoß aus Den Haag wird die Pendeldiplomatie in Sachen Kosovo erschweren. Wie dünn das Eis sowieso noch ist, zeigen nicht zuletzt die jüngsten Ankündigungen Tschernomyrdins, Rußlands Beteiligung am Verhandlungsprozeß auszusetzen und von seinem Vetorecht im UN-Sicherheitsrat Gebrauch zu machen, sollte die Nato ihre Bombenangriffe weiter fortsetzen.
Doch die Frage ist ohnehin, inwieweit eine politische Lösung noch gewollt ist. Und so könnte, ohne dem Haager Tribunal etwas unterstellen zu wollen, das Gericht zum Erfüllungsgehilfen der Nato werden. Schließlich ist mittlerweile offensichtlich, daß die militärische Strategie der Allianz, die bei ihren Luftangriffen täglich „neue Rekorde“ aufstellt, gescheitert ist. Und nicht zufällig erwägt gerade jetzt US-Präsident Bill Clinton einen massiven Einsatz von Bodentruppen im Kosovo zur Durchsetzung der Nato-Forderungen. Und das anfangs kategorische Nein der Bundesregierung zu einem solchen Einsatz mutiert zu einem (bis jetzt noch) Nein zur Beteiligung deutscher Soldaten an einer derartigen Aktion. Bei denjenigen Nato-Mitgliedern, die der Strategie des Bündnisses in Jugoslawien kritisch gegenüberstehen, dürfte die Anklage gegen Miloevic die Akzeptanz für einen Bodentruppeneinsatz ohne Friedensplan nicht erhöhen. Doch zur Legitimierung weiterer Militäraktionen taugt sie allemal. Schließlich gibt es einen Verhandlungspartner in Belgrad ja jetzt sowieso nicht mehr. Barbara Oertel
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