: Von flüchtenden Tüllschleiern
Egal, ob ein Brautkleid mit Beklemmungen oder mit Stolz erfüllt – der Wahrnehmungssinn von Frauen ist gesellschaftlich darauf geeicht, daß an einem Brautkleid mehr hängt als ein besonderer Tag. Das zeigt eine Ausstellung im Rheinischen Industriemuseum. Auch das Brautkleid im Film bestätigt diesen Eindruck. Dabei transportiert Heiraten auf der Leinwand immer etwas Doppeldeutiges. Eine Stilkritik aus gegebenen Anlaß ■ Von Verena Mund
Was mag dem Drehbuchautor Preston Sturges im Kino durch den Kopf gegangen sein, als er 1934 It Happened One Night (“Es geschah in jener Nacht“) vom Regisseur Frank Capra sah? Reiche Erbin (Claudette Colbert) will gegen Vaters Willen heiraten und flieht, verfolgt von Fotografen und Zeitungsschlagzeilen, im Greyhoundbus von Florida nach New York. Im Bus lernt sie dann den Reporter Clark Gable kennen. Erklärtermaßen handelte es sich bei dem Plot um die Verfilmung eines Fortsetzungsromans namens „Nightbus“. Doch Frank Capra und sein Drehbuchautor Robert Riskin schienen auch so etwas wie ein Remake des Medienereignisses von ein paar Jahren zuvor zu integrieren: Junger Autor lernt nach seinem ersten Broadwayerfolg im Zug nach Palm Beach Millionenerbin kennen. Ihre Familie lehnt eine Hochzeit ab. Im Focus der Boulevardpresse brennen die beiden durch und heiraten. Besetzung: Eleanor Post Hutton und Preston Sturges. Wenn Träume wahr werden oder: Wie der Regisseur ins Kino kommt.
Natürlich funktioniert es auch umgekehrt. Hollywood möchte selbst auch Vorlagen liefern. Trendsetter sein. Nicht zuletzt für Traumkleider. Das aber hatte die Hutton/Sturges-Trauung nun gerade nicht zu bieten. Dafür einen herausgeklingelten Friedensrichter im Morgenrock. Dennoch durfte in It Happened One Night – obwohl weder im Film noch in der Vorlage geheiratet wird – eine bombastische Hochzeit mit allem Drum und Dran bis zum Unglaublichen nicht fehlen: Der Bräutigam fliegt im Hubschrauber vor. Die Braut indes bleibt unbeeindruckt. Sie flieht vom Altar, läuft durch die riesige Gartenanlage davon, die Hochzeitsgesellschaft hinter ihr her. Der meterlange Tüllschleier öffnet sich und liegt sekundenlang waagerecht in der Luft. Wird zum Gedankenstrich, zum Zeichen des Abstandnehmens, der (Selbst-)Befreiung vom falschen Bräutigam und der blöden Prestigehochzeit.
Am Ende bekommt die Erbin zwar ihren Reporter, doch die klassenüberschreitende Liebeshochzeit wird im Film nicht gezeigt. In Szene gesetzt, würde sie den Traum der vorangegangenen Ausstattungshochzeit zu sehr in Mißkredit bringen. Wenn Liebe und Ausstattung bei einer Hochzeit nicht zusammenspielen, punktet noch immer die Liebeshochzeit. Gerade die Ausstattung aber ist der Traumfabrik liebstes Kind. Keiner soll das besser können.
Acht Jahre später ist es Preston Sturges, der Claudette Colbert auf die Leinwand holt. Samt Brautschleier. Dem Brautschleier aus It Happened One Night. Und The Palm Beach Story (“Auf nach Florida“) fängt auch ganz ähnlich an. Schon im Vorspann rast alles zum Altar. Das eigentliche Paar ist von Colbert und Joel McCrea ausgetrickst und heimlich ersetzt worden. Wie ein Schriftzug läuft durch diese unerlaubte (Liebes-)Hochzeit wiederum der Schleier der eiligen Braut. Mittlerweile, 1942, ist der It Happened-Schleier aus den dreißiger Jahren nicht mehr so ganz à la mode. Was der im Vierziger-Jahre-Stil aufgetürmte Haarpony von Colbert noch unterstreicht: „Got it“, winkt Ex-Bräutigam Sturges, inzwischen längst von der Hutton geschieden.
Brautkleider sind abhängig von traditionaler Gestaltung und zeitgenössischer Mode. Das Kostümdesign im Film ist obendrein narrativ imprägniert. Es ist die Braut, um die sich die Hochzeit dreht, doch sie ist ebenso eine Figur in der Geschichte des Films. Das Brautkrönchen macht sie zur Prinzessin, das Weiß beteuert ihre Unschuld, und der Schleier mag eine Braut für gewöhnlich als beschützenswert ausweisen, doch wie in It Happened One Night kann diese Bedeutung auch in den Wind geschrieben werden. Der wehende Tüllschleier wird zum durchsichtigen Flyer für die Liebeshochzeit ohne Zwänge. Für den Sieg über gesellschaftliche Zumutungen, für die Freiheit der Privatsphäre gegenüber öffentlichen Nachstellungen. An dieser Stelle klinkt Sturges sich mit der Hochzeit ein, wie er sie mit der Hutton ja selbst erlebt hatte.
Bei Preston Sturges ist es mit dem Respekt gegenüber dem Trauungsritual nicht weit her. Und seine Heldinnen profitieren wohl häufiger vom Heiraten. The Lady Eve (“Die Falschspielerin“, USA 1941) etwa. Sturges stellt nicht einfach alles auf den Kopf, gibt etwa der Ausstattungshochzeit den Vorzug gegenüber der Liebe. Die Dramaturgie des Films ist so elegant wie das von Edith Head entworfene Brautkleid für Barbara Stanwyck. So elegant wie mehrdeutig. Schlichter, weißer Satin. Schmaler Schnitt. Edel, teuer. (Die kurze, mehrfach gereihte Perlenkette paßt ins Bild.) Die Szene, als Stanwyck die Treppe herunter schreitet, bündelt die gesamte Narration in einem Bildmoment. Der Schleier breitet sich aus. Seine Feinheit wie seine unglaubliche Länge werden sichtbar. Die Aufmachung der Braut strahlt eine Ruhe aus, die sich allein an der Feierlichkeit des Ereignisses messen läßt. Die Braut ist die Königin. Und doch irritiert etwas. Es ist zunächst das Brautbouquet. Es zieht die Aufmerksamkeit auf sich, löst sich aus der ihm zugedachten Rolle des Accessoires. Die weißen Gladiolen sind aufreizend gebunden, wirken gegenüber dem Kleid opulent und ausschweifend. Haben etwas Verlockendes, werden zum Köder. Werden plötzlich aggressiver. Zur Spinne. Die Gladiolen ähneln Tentakeln; der Schleier wirkt jetzt wie ein hauchdünnes Netz. Durch ihn läßt sich zwar hindurchsehen, aber man entkommt ihm nicht, hat man sich erst darin verfangen. So wie Hopsie (Peter Fonda), den Eve mit ihrem Rachefeldzug im Auge hat. Einst hatte er sie als Trickbetrügerin abgelehnt, nun gaukelt sie ihm vor, die Lady zu sein, die schon immer wollte. Ihr Spiel geht auf. Und behält man das im Auge, dann glänzt das silbern schimmernde Satinkleid wie eine Rüstung aus Metall, die sich in einem Triumphzug (zum Altar) präsentiert.
Nicht daß keine Liebe im Spiel wäre, und natürlich will Eve auch das Geld. Doch vor allem geht es um die Intrige. Darum, Hopsie unter seiner eigenen scheinheiligen Moral leiden zu lassen. Selbst schuld, daß seine selbstgefällige Ignoranz ihm den Blick dafür verstellt, was eigentlich vorm Altar geschieht. Das Kleid könnte es ihm sagen.
Jenseits der Leinwand dient die Austaffierung der Braut dazu, sie als kostbar und würdig zu kennzeichnen. Schleier und Brautkranz sowieso, aber auch Orangenblüten, weiße Spitze, Täschchen, Brautstrauß wie Brautschuhe sagen: sie ist die Richtige.
In der Filmhochzeit verschiebt sich das etwas. Je nach Genre kann der Moment der Wahrheit unterschiedlich aufgeladen sein: Die Trauung als belohnendes Happy-End, als düster schicksalsmächtiger Auftakt oder als großer Trubel, in dem die „Richtigen“ sich erst noch finden müssen. Aber immer hängt das künftige Glück von der Antwort vorm Altar ab.
Nur im Film lautet genreunabhängig die Frage bedeutend häufiger: „Ist ER der Richtige?“ Ein kaltes Erschaudern, ein nervöses Knabbern an der Unterlippe oder auch glühende Wangen werden dann allerdings von IHR performiert. Das ist nicht anders als mit der Lust im Porno. Doch die Filmhochzeiten sind mehr für die Zuschauerin inszeniert. Für Herzschmerz und Befriedung. Diese Momente sollen kostbar sein. Ob sie deshalb den Zuschauerinnen ein masochistisches Einschluchzen abverlangen oder vielmehr die unauflösbaren Widersprüche weiblicher Rollenzumutungen in der bürgerlich-patriarchalen Gesellschaft auf den Punkt bringen, hat in der feministischen Filmtheorie zu heftigen Diskussionen geführt.
„Bitte lassen Sie mich ihr Gesicht sehen, wenn er ihr den Kuß gibt“ (Stella Dallas, USA 1937; Regie: King Vidor), fleht Stella Dallas am Filmende den Polizisten an. Der verscheucht die Schaulustigen vom Bürgersteig und will damit auch Barbara Stanwyck, diesmal die leibliche Brautmutter, den Blick durchs Fenster auf die Trauung verwehren. Die Gewißheit über das zukünftige Glück ihrer Tochter, zugleich außen vor, die völlige Selbstaufgabe, das erfüllte Opfer, Regen – die Rührung ist kaum steigerungsfähig. Den familiären Bezug freilich kennt der Polizist, anders als wir, die ZuschauerInnen, nicht. Weil er ahnungslos ist, scheint es auch eher ein glücklicher Zufall zu sein, der Stella Dallas den ersehnten Blick gewährt, als das erweichte Herz des Ordnungshüters. Dennoch erhöht der Polizist die Kostbarkeit des Moments, indem er die Teilhabe bedroht.
Der Polizist sichert die Grenze zwischen der Hochzeit hinter dem Fenster und dem Bürgersteig. Die Grenze zwischen Stella Dallas und ihrer Tochter, zwischen der reichen Gesellschaft und der einfachen Frau in der verregneten Nacht. Als Vertreter des Gesetzes schätzt er aber nicht nur Klassenunterschiede. Er vertritt auch eine patriarchale Familienordnung, in der die männliche Vorrangstellung mehr gilt als die Beziehung von Mutter und Tochter.
Doch der Polizist leistet noch mehr. Wie gesagt: Er stört. Und dadurch wird die Sehnsucht, zuschauen zu dürfen, nur noch größer. Wenn er zwischen die Streicherklänge der unterlegten Filmmusik plappert, dann möchte man ihm ein „Pssst“ rüberzischen, so als mache er im Kinosessel nebenan eine Chipstüte leer. Der Polizist stört auch im Zuschauerraum, bedroht ein Mitempfinden gegenüber Stella Dallas ebenso wie deren Anteilnahme am Glück ihrer Tochter. Die Rührung der Stella Dallas ist Glück und Trauer zugleich, das Happy-End liegt in der Eintracht von ihr und Zuschauerin. Und diese Eintracht ist mehrdeutig. Sie liegt sowohl in dem Genervtsein gegenüber dem patriarchalen Ordnungshüter als auch im gemeinsamen Zusehen, wie ein Traum in Erfüllung geht.
Verena Mund, 35, lebt als freie Autorin in Köln. Sie ist Mitorganisatorin des Internationalen FrauenFilmFestivals Feminale
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