■ Vorlauf: Überdreht
„Tatort: Das Traumhaus“, So., 20.15 Uhr, ARD Der Amoklauf gehört zum Repertoire der modernen Zivilgesellschaft. Warum also ihn nicht einmal ins Zentrum eines Krimis stellen, statt immer auf Verbrecherjagd zu gehen? Vielleicht war diese Frage Ausgangspunkt für den Stoff – und für die NDR-Redakteurin Doris J. Heinze, die auch den „Polizeiruf 110“ betreut und dort immer wieder so lange die Regeln des Krimigenres außer Kraft setzt, bis ein schönes Fernsehspiel entstanden ist. Und das singende Ermittler-team Manfred Krug und Charles Brauer machen sowieso längst, was sie wollen.
Ulrich Mühe soll uns nun also das „Ein Mann dreht durch“-Motiv vorspielen, soll vom unscheinbaren Handlungsreisenden zum mutmaßlichen Doppelmörder mutieren. So eine Wandlung will motiviert sein, also muß Buchautor Raimund Weber kräftig hinlangen: Er läßt den verträumten Vertreter den Kaufvertrag für ein Traumhaus unterschreiben, das sich bald als Teil eines betrügerischen Potemkinsches Dorf herausstellt. Er raubt ihm seinen Job und stellt ihm zu allem Überfluß eine weltfremde, hochschwangere Ehefrau zu Seite, die partout nicht sehen will, in welchen Nöten ihr Gatte steckt. Auch diese Rolle ist mit Susanne Lothar prominent besetzt, trotzdem zweifelt man rasch an der Authentizität einer solchen Ehekonstruktion. Dennoch traut man dem sehr sicher spielenden Ulrich Mühe bald den einen oder anderen Affektmord zu.
Derweil schwadronieren Stöver und Brockmölle übers Angeln und die Vorzüge des Ruhestandes, und machen sich so – streng genommen – überflüssig. Aber der Stil, der den „Polizeirufen“ des NDR so oft eine so besondere Erzählfarbe verleiht, wirkt in diesem „Tatort“ nur deplaziert. So stark ist dieses Familiendrama denn doch nicht erzählt, daß es uns über die volle Länge in Atem halten würde.
„Wenn die Leute wüßten, wie langweilig unsere Arbeit ist“, stöhnt Stöver über seinem Aktenberg. „Die Leute haben ihre spannenden Fernsehkrimis“, gibt Brockmüller zurück. Na ja. Klaudia Brunst
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