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Der „Graue Wolf“ regiert erstmals mit

■ Seit gestern hat die Türkei eine neue Regierung. Die Drei-Parteien-Koalition dürfte mehr Kontinuität zeigen als befürchtet

Istanbul (taz) – Erstmals seit den 70er Jahren ist in dem zukünftigen Kabinett die ultranationalistische rechte Partei der Nationalen Bewegung (MHP) wieder vertreten, und zwar, anders als vor 20 Jahren, mit 18 Prozent der Wählerstimmen, als zweitstärkste Kraft. Gebildet wird die Regierung vom alten und neuen Ministerpräsidenten Bülent Ecevit, der nach dreiwöchigen Koalitionsgesprächen jetzt zu einer Einigung mit der MHP und seinem früheren Koalitionspartner, der Mutterlandspartei (Anap) von Mesut Yilmaz, gekommen ist. In der Drei-Parteien-Koalition ist die Demokratische Linkspartei (DSP) von Bülent Ecevit die stärkste Kraft und wird neben dem Ministerpräsidenten auch den Außenminister stellen.

Der amtierende Außenminister Ismael Cem bleibt im Amt, was für Kontinuität sorgen wird. Im Koalitionsvertrag wird betont, daß die Mitgliedschaft in der EU eines der zentralen Ziele der türkischen Außenpolitik bleibt. Der unmittelbar nach dem Wahlerfolg der MHP im April befürchtete totale Bruch mit Europa steht wohl nicht bevor.

Innenpolitisch mußte die MHP viele Konzessionen machen. Eine Rücknahme der von den Militärs vor zwei Jahren durchgesetzen Bildungsreform mit dem Ziel, den Einfluß der islamischen Schulen zurückzudrängen, wird es, trotz der Versprechen der MHP im Wahlkampf, nicht geben, und auch das Kopftuchverbot in öffentlichen Gebäuden bleibt. Überdies hat die laizistische DSP sich das Bildungs- und Religionsministerium selbst vorbehalten. Die Maßnahmen zum Schutz des Laizismus, die seit dem Quasiputsch im Februar 1997, als das Militär die islamische Regierung Erbakan aus dem Amt drängte, vom Nationalen Sicherheitsrat verordnet wurden, sollen laut Koalitionsvertrag kompromißlos fortgesetzt werden. Da das Innen- und Finanzministerium an die Anap gehen, bleibt der MHP als Prestigeposten nur das Verteidigungsministerium, welches angesichts der Macht der Militärs aber auch nur untergeordnete Bedeutung hat. Zumindest auf dem Papier scheint der Graue Wolf durch die Einbindung in die Regierung an die Leine gelegt worden zu sein. Selbst in der von der MHP am stärksten emotionalisierten Frage, dem Kampf gegen den Terrorismus der PKK, haben die Ultras Zugeständnisse machen müssen. Die neue Regierung will als erste Amtshandlung ein Gesetz einbringen, welches den Militärrichter aus den Staatssicherheitsgerichten entfernt, um so möglicher Kritik an dem Gericht zu entgehen. Es könnte deshalb sein, daß der Öcalan-Prozeß deshalb nach seinem Auftakt am Montag gleich wieder vertagt wird, bis das neue Gesetz durch ist. Jürgen Gottschlich

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