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Ein Farbfleck im Hellersdorfer Plattenbau

■ Kulturschock-Festival: 1.800 Punks und Antifas brachten „Chaos und Bundheit in die Ödnis“

Vor gut einem Jahr bekamen die Plattenbauten in Hellersdorf ein wenig Farbe, jetzt werden die einzelnen Blocks blaues Viertel oder gelbes Viertel genannt. Die Monotonie der Einheitsarchitektur ist dadurch aber nicht wirklich überdeckt worden. Ein Stadtzentrum gibt es nicht, und obwohl die 136.000 EinwohnerInnen mit einem Altersdurchschnitt von 30 Jahren die jüngste Bezirksbevölkerung Berlins darstellen, sind Jugendclubs rar. Bomberjacken werden gern getragen.

Mit einem „Kulturschock“-Festival brachten die „Jungen Antifaschisten Hellersdorf“ und verschiedene linke Jugendprojekte am Samstag einen Farbfleck in die politisch-kulturelle Einöde der Plattenwelt. Etwa 1.800 Punks, Raver, Hippies und „Normalos“ fanden sich unter strahlendem Sonnenschein auf der garantiert schattenfreien Grünfläche des Hellersdorfer Ecks ein. Picknickdecken und Sixpacks wurden ausgepackt, Hunde von der Leine gelassen und Kinder in die aufgeblasbare Hüpfburg gebracht.

„Widerständig und lebendig gegen den Normalzustand“ stand auf dem großen weißen Transparent der Hauptbühne. „Citizen Fish“, eine Punk-Band aus England, ließ krachig feinen britischen Slang über den Rasen schallen. Ein paar hundert Köpfe schafften es, im Takt zu nicken, zum Tanzen war es einfach zu heiß. Ein paar Meter weiter dröhnten die brandneuen Boxen eines alten Lasters HipHop-Klänge. „Die Musik ist so laut, daß ich nicht fernsehen konnte“, klagte Ramona Flander, die gleich an der Grünfläche wohnt. „Da kann ich mir das ja gleich mal anschauen.“

„Wir wollen Chaos und Buntheit in diese Ödnis bringen“, sagte Silke Böttcher, eine der VeranstalterInnen, „und diejenigen provozieren, die aus den Fenstern dieser Plattenskyline schauen.“ AnwohnerInnen waren jedoch kaum auszumachen. Eine Mitarbeiterin der Regionalen Arbeitstelle für Ausländerfragen, Jugend und Schule (RAA) bemängelte auch den „exotischen“ Charakter des Festivals: „Das ist viel zuwenig auf Hellersdorfer abgestimmt und auch ein wenig zu sehr provo“, sagte sie.

Für wirkliche Provokation schienen jedoch selbst die aufgestellten Infostände des Schöneberger Jugendzentrums Drugstore oder der Jungdemokraten/Junge Linke nicht sorgen zu können; Schlangen bildeten sich vor allem vor Bierausschank und Bratwurststand. Auch trauten sich nur wenige Bomberjacken mit leise grummelnden Bemerkungen über den Rasen.

„Natürlich wird sich hier kein Nazi hertrauen“, meinte Martin vom Drugstore, „aber was passiert nach dem Fest? Da geht man einzeln nach Hause und kriegt ein paar auf die Fresse.“ Zu Ausschreitungen kam es glücklicherweise nicht, auch wurden Bühnen und Zelte pünktlich und friedlich um 22.00 Uhr abgebaut. Ein 58jähriger Anwohner sagte zum Abschluß: „Ich denke, daß dies ein Kulturschock für beide Seiten war.“ Katrin Cholotta

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