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Zwischen Mercedes-Stern und Halbmond

Hochglanzmagazine wollen Deutschtürken ein Forum, der Wirtschaft neue Kunden erschließen  ■ Von Anja Brockmann und Ute Kissling

Über der Eingangstür der Berliner Agentur „Lab One“ hängt ein orientalisches Porzellanauge, das alle, die eintreten, vor Bösem bewahren soll. Doch mit Mystik hat Agenturchef Ozan Sinan wenig im Sinn. Der 27jährige ist ein nüchterner Rechner. Und weil er Geld verdienen will, brütet er immer neue Geschäftsideen aus. Er war Marketingleiter des Berliner Radiosenders Kiss FM, dann Manager der erfolgreichsten türkischen Rap-Gruppe „Cartel“. Sein neuestes Projekt ist ein deutschsprachiges Hochglanzmagazin namens Etap, das in den nächsten Wochen in 200.000 türkischen Haushalten kostenlos verteilt werden soll. Etap – zu deutsch Etappe – will die zweite und dritte Generation der Deutschtürken ansprechen, und zwar durch ein modernes Layout mit klaren Linien und großen Fotos. Auf achtzig Seiten blättert sich der Leser durch ein Hochglanz-Allerlei aus Verbrauchertips, Mode und Rezepten, Rätseln, Horoskopen und Musik, aber auch durch Themen aus Wirtschaft, Politik und Gesellschaft. „Etap ist ein bißchen Stern, ein bißchen Lifestyle, ein bißchen Orientierungshilfe“, sagt Ozan Sinan. Vor allem ist Etap aber eine Zeitschrift, in der die Türkei schlicht kein Thema ist. Ozan Sinan: „Es geht nicht um die türkische Politik, nicht um den Islam, nicht um die türkische Gesellschaft. Wir haben nichts mit der Türkei zu tun.“ Glaubt man dem Herausgeber, reduziert sich das Interesse junger Deutschtürken an der Heimat ihrer Eltern auf die Frage, wie sie am billigsten mit der Verwandtschaft telefonieren können. Diesen Verbrauchertip gibt es in Etap ebenso wie einen Bericht über die Bedeutung des Euros für türkische Sparkonten.

Überhaupt spielen Geld und Luxus eine große Rolle. So findet sich in der Nullnummer eine mehrseitige Reportage über Mercedes. „Das Auto ist eine Sehnsucht. Vielleicht ein bißchen vergleichbar mit der Liebe. Über die Liebe muß man nicht viel nachdenken“, darf dort ein junger Deutschtürke schwärmen. Das ist mehr als plumpe Schleichwerbung, Ozan Sinan weiß um die Bedeutung von Statussymbolen: „Die jungen Deutschtürken sind libidoorientiert, konsumieren sehr viel und haben Spaß am Leben.“ Handy, amerikanische Zigaretten und Urlaub auf Mallorca: Die türkischstämmigen Jugendlichen in Etap unterscheiden sich kaum von der Spaßgeneration der deutschen Altersgenossen.

Sinan will ein anderes Bild von Ausländern vermitteln als die deutschen Medien. „Es gibt kein deutschsprachiges Medium, das sich mit dem Leben der Deutschtürken beschäftigt.“ Jedenfalls nicht so, wie es sich Sinan vorstellt. Denn natürlich kennt auch er die deutschtürkische Zeitschrift Hayat, die seit September vergangenen Jahres in Hamburg erscheint und jetzt bundesweit an Bahnhofskiosken und Flughäfen (Auflage: 20.000) für drei Mark erhältlich ist. Auch Hayat-Herausgeberin Tanya Zeran will den jungen Türken der zweiten und dritten Generation „ein Forum geben“. Und der Titel weist in eine ähnliche Richtung wie Etap –Hayat heißt Leben im Sinne von Lifestyle“, erklärt Zeran. Deswegen bietet auch diese Zeitschrift eine breite Themenpalette von Politik, Unterhaltung, Kultur und Sport. Und doch: Die Umsetzung unterscheidet sich erheblich von der der Berliner Konkurrenz. Das fängt beim Layout an, das weniger trendy und mehr an dem türkischer Zeitschriften orientiert ist. In Hayat dominieren Lila, Pink und Orange, da sind Porträtfotos auch oval.

Inhaltlich orientiert sich Hayat am Türkischen: Das Spektrum reicht vom Interview mit Popkönigin Betül Gög über ein Porträt des deutschtürkischen Satirikers Osman Engin bis zum Kochrezept für „Karamelli Saray Sütlac“ (Maispudding mit Karamelsauce). Ein weiterer Schwerpunkt: Aufklärung, sei es über das Neujahrsfest Nevroz oder über die Erotik im Islam. In diesen Artikeln spiegelt sich ein Selbstbewußtsein der Deutschtürken – nicht obwohl, gerade weil man anders ist. Daß auch in Hayat eine Auseinandersetzung mit türkischen Politik eher am Rande stattfindet, hat einen einfachen Grund: „Wir, die wir hier in Deutschland aufgewachsen sind, haben keine Ahnung davon. Die Türkei ist so ein kompliziertes Land“, sagt Tanya Zeran.

Hayat spiegelt das Leben zwischen zwei Kulturen. „Zu Recht“, meint Özcan Mutlu, der als bündnisgrüner Bezirkspolitiker in Berlin für die Interessen der türkischen Community eintritt. „Denn das vielgepriesene Selbstbewußtsein ist nur bei wenigen zu finden.“ Gerade in den vergangenen Jahren habe sich ein großer Teil der jungen Türken aus der deutschen Gesellschaft zurückgezogen. Eine Realität, die auch Tanya Zeran aus ihrer Arbeit mit Jugendlichen kennt. Deshalb fordert Hayat ihre Leser auf, sich in die Politik einzumischen. „Die erste Generation hat für sich keine Rechte eingefordert und konnte dieses auch nicht. Die zweite Generation stürmt schon in ganz andere Bereiche. Diese jungen ,Ausländer' sind hier geboren, machen Abitur, stellen Forderungen. Eines aber durchkreuzte ihr bisheriges Leben permanent: Ablehnung, Beleidigung, Suche nach Identität, Bewahrung des kulturellen Erbes und die Gier nach Akzeptanz“, heißt es in einem Artikel.

Eben dieser Sehnsucht nach Anerkennung bedient sich Etap. Und da wird die deutsche Wirtschaft zum wichtigen Ansprechpartner. Ozan Sinan glaubt, der Werbeindustrie einiges bieten zu können: deutschtürkische Familienhaushalte als „kaufkräftige Konsumenten, die ein immer bewußteres Konsumverhalten entwickeln“. Bei diesem Bewußtseinsprozeß ist Etap gerne behilflich. Ich kaufe, also bin ich. Ob das wie Özcan Mutlu behauptet die Stigmatisierung der Deutschtürken zum Konsumenten ist, sei dahingestellt. Auf jeden Fall paßt man sich so der deutschen Lebensart an. Von der Zielgruppe der Deutschtürken will sich Etap zukünftig „schnell entkoppeln“. Sie sind der Köder, mit dem man die Wirtschaft angeln will. „Mittelfristig soll die Zeitschrift eine Plattform werden für alle, die in Deutschland leben, aber einen anderen ethnischen Bezug haben.“ Und diese Gruppe versteht Sinan „ganz klar als Deutsche“. Denn: „Wir suchen das Deutsche nicht im Ethnischen.“

Ein weiteres deutschsprachiges Magazin für Deutschtürken „Turkis“ mit türkischem TV-Programm erscheint monatlich in Essen. Auch „Turkis“ mit einer Auflage von 40.000 ist kostenlos.

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