: „Das macht das Format kaputt“
■ Talkshow-Hopper, jetzt reicht's: Die Redaktionsleiterin von „Arabella“ erklärt, warum Pro7 verlogenen und nimmersatten Gästen mit rechtlichen Schritten den Garaus machen will
Talkshow-Hopper? Das sind Gäste in täglichen Talkshows, die mit ihrer Geschichte auch bei der Konkurrenz im Studio sitzen und/oder Talkgemeinde und -redaktion mit teils irrwitzigen, aber erlogenen Geschichten zum Narren halten. Und während Hans Meiser (RTL) ab und an sogar selbst komplett erfundene „Meiser“-Sendungen produziert, ließ der Münchner Sender Pro 7 („Arabella“, „Andreas Türck“, „Nicole“) verlautbaren, man gehe „in zwei Fällen straf- und zivilrechtlich gegen „Talkshow-Hopper‘ vor“ – wegen Vertragsbruch und Betrug. Schließlich verpflichte sich jeder Pro 7-Talkgast vertraglich (mit dem Hinweis auf eine bei Zuwiderhandlung fälligen Vertragsstrafe in Höhe von 5.000 Mark) zu wahren Aussagen und zur schriftlichen Unterrichtung der Redaktion über die Mitwirkung an anderen Talkshows. Ein bemerkenswerter Vorstoß, zumal Daily Talkshows wie „Arabella“ ja nicht gerade als besonders seriös gelten: Eben erst ist Kiesbauers Sendung im Kielwasser der schier endlosen „Schmuddeltalk“-Debatte von den Medienwächtern gerügt worden, zwei Shows werden demnächst eventuell öffentlich beanstandet.
Wir befragten Iris Stelzner, 31, seit 1994 bei „Arabella“ (die letzten zwei Jahre als Redaktionsleiterin) und seit einem Jahr Leiterin Talk bei Pro 7.
taz: Sucht Pro 7 jetzt die Unseriosität beim Talkgast?
Iris Stelzner: Auf gar keinen Fall. Aber wir haben uns schon lange über diese Talkshow-Hopper geärgert. Es kann auch sein, daß sich die Kollegen bei anderen Sendern jetzt über uns ärgern. Ich habe mir vorletzte Woche eine „Ilona Christen“-Sendung angeschaut und habe da fünf unserer Gäste sitzen sehen. Da war's dann soweit, daß ich gesagt habe: Jetzt reicht's. Das macht einen wütend. Und rechtliche Schritte sind die einzige Möglichkeit, daran ein bißchen ändern zu können.
Das heißt, es wird nicht bei den zwei Fällen bleiben?
Nein, wir wollen nicht nur ein Exempel statuieren, sondern auch weiterhin rigoros durchgreifen. Die Talkgäste haben ja einen Vertrag mit uns geschlossen.
Ein Vertrag, dessen „Exklusivitätsklausel“ ohnehin spätestens nach sechs Monaten erlischt. Wäre es da nicht sinnvoller, die entsprechenden Klauseln einfach ganz zu streichen ...
... und zu sagen: Stört uns überhaupt nicht, ob der Gast uns anlügt und in sieben anderen Talkshows sitzt? Das ist nicht Ihr Ernst. Das können wir den Zuschauern nicht antun. Die sind stinksauer, wenn sie bei uns Gäste erkennen, die schon in anderen Talkshows waren, rufen uns an und sagen: Merkt ihr sowas nicht?
Aber die Gäste werden doch sowieso vor der Sendung gebrieft. Das heißt, ihre Geschichten werden auf der Grundlage von Vorgesprächen redaktionell aufbereitet, dramatisiert ...
... sagen wir lieber: in einen Sendungsablauf gebracht. Natürlich haben die Gäste im Vorfeld ein ausführliches Gespräch mit dem Redakteur. Direkt vor der Sendung gibt es noch ein Gespräch, in dem noch mal nachgefragt und abgeglichen wird.
Macht es da denn wirklich einen Unterschied, ob es die eigenen Geschichten sind, die die Gäste schließlich gemeinsam mit Ihnen fernsehgerecht inszenieren?
Was heißt hier fernsehgerecht inszenieren? Das klingt ja so, als würden wir uns gemeinsam mit den Gästen irgendwelche Geschichten ausdenken. Für uns ist entscheidend, daß unseren Zuschauern keine Lügengeschichten aufgetischt werden.
Immerhin produziert Hans Meiser ja ab und zu frei erfundene Talkshows und macht damit auch ganz gut Quote. Und die „Süddeutsche Zeitung“ mutmaßte kürzlich, es sei den Zuschauern möglicherweise ganz egal, ob die Gäste echt sind oder nicht.
Natürlich könnten wir es uns leichter machen und jeden Tag eine fiktive Talkshow wie „T. V. Kaiser“ senden. Das wollen wir aber nicht. Wir wollen wahre Gäste mit wahren Geschichten zeigen. Außerdem hab ich mir nach dem letzten „Meiser“-Fake die Zuschauerresonanz im Internet angeschaut. Und die war verheerend.
Inwiefern?
Weil sehr viele Zuschauer dort geschrieben haben: Hans, das geht nicht, du kannst uns nicht für dumm verkaufen. Sowas macht ein Format auf Dauer kaputt. Weil der Zuschauer nicht mehr weiß, was echt ist und was nicht. Und irgenwann sagt er sich: Ich laß' mich nicht veralbern.
Eine Forsa-Umfrage aber fand heraus, daß 85 Prozent der Bevölkerung der Meinung sind, Talkshows sollten nicht allzu ernst genommen werden.
Talkshows sollen unterhalten – nicht mehr und nicht weniger. wenn die Zuschauer bei einer Talkshow merken, da lügt einfach einer und der nächste lügt und der nächste, dann werden die Geschichten uninteressant.
Aber sagen wir, es geht bei „Arabella“ um Brüste: Brustverkleinerungen, -vergrößerungen. Und ein Gast sagt, er finde große Brüste gräßlich oder sexy – dabei ist's in Wirklichkeit umgekehrt. Wird er dann verklagt?
Ihr Beispiel ist schwer zu überprüfen.
Also gut, dann erinnere ich an den Mitarbeiter des satirischen NDR-Magazins „Extra drei“, Wulf Beleites, der im letzten Jahr als Herausgeber der sogenannten Hundehasser-Zeitung „Kot & Köter“ insgesamt 14mal in Talkshows (u. a. dreimal bei „Arabella“) auftrat, obwohl sein Hundehasser-Blatt nie existierte.
Wenn wir merken, daß ein Talkgast eine ganze Geschichte bewußt fälscht, dann ziehen wir die Konsequenzen. Es gibt bei diesen Talkshow-Hoppern verschiedene Typen. Es gibt Hopper, die den Vertrag einfach dahingehend brechen, daß sie mit ihrer Geschichte in verschiedenen Talkshows auftreten. Wenn wir das noch rechtzeitig merken, strahlen wir die Sendung so nicht mehr aus. Hier entsteht uns ein klarer finanzieller Schaden. Von Hoppern, die bereits in mehreren Talkshows aufgetreten sind, erwarten wir, daß sie uns das ehrlich mitteilen. Am schlimmsten sind diejenigen, die uns bewußt anlügen. Gegen diese Leute werden wir konsequent vorgehen.
Warum machen diese Leute das denn?
Ich weiß es nicht. Bei uns sitzen Menschen, die haben ihre persönliche Geschichte zu erzählen, die sind betroffen. Oder Geschichten, die ihr Leben verändert haben. Diese Menschen haben ein Anliegen. Wenn neben diesen Talkgästen jemand sitzt, dem das egal ist und der bewußt lügt, dann ist es diesen Menschen gegenüber eine Gemeinheit. Im Endeffekt wird das ganze Genre diskreditiert. Und das stinkt uns. Interview: Christoph Schultheis
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen