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Gnade oder Gerechtigkeit

Zum G-7-Gipfel fordern Basisgruppen weltweit einen wirksamen Schuldenerlaß für die Dritte Welt  ■   Von Maike Rademaker

Köln (taz) – Eigentlich wollen alle dasselbe: Die andauernde Überschuldung vor allem der ärmsten Entwicklungsländer braucht eine Lösung. Ihnen müssen die Schulden erlassen oder reduziert werden. Spätestens da aber hören die Gemeinsamkeiten zwischen den Regierungen und den regierungsunabhängigen Organisationen (NGO) auf.

Die NGOs haben in den vergangenen fünf Jahren weltweit die bisher größte Schuldenerlaßkampagne auf die Beine gestellt. Die größte internationale Initiative ist die „Jubilee 2000“-Kampagne, die ihren Namen aus der biblischen Forderung ableitet, alle fünfzig Jahre ein Jahr der Freilassung zu gewähren. Jubilee 2000 gehören Bündnisse und Organisationen aus mehr als 50 Ländern an. Übergreifend fordern sie eine deutliche Reduzierung der Schulden zum Jahr 2000 auf ein tragfähiges Niveau, ein transparentes und faires Verfahren bei künftigem Schuldenmanagement sowie sogenannte Gegenwertfonds. In diese sollen die Schuldnerregierungen den Gegenwert der Schulden einzahlen und daraus entwicklungsrelevante Projekte und Maßnahmen fördern.

Auf Basis der Jubilee-2000-Plattform entwickelten nationale Bündnisse – wie die deutsche Kampagne „Erlaßjahr 2000 – Entwicklung braucht Entschuldung“ eigene Strategien. Dem deutschen Bündnis haben sich mittlerweile über 1.500 Gruppen, Organisationen und Kirchengemeinden angeschlossen. Die Kampagne nimmt sich den Londoner Schuldenerlaß von 1953 zum Vorbild, wonach die Verpflichtungen der Schuldnerländer nicht höher sein dürfen als fünf Prozent der Exporteinnahmen. Außerdem fordert die Kampagne Gegenwertfonds und ein internationales Insolvenzrechtes. Andere Kampagnen, wie die brasilianische Jubileu 2000, gehen weiter. Neben dem Schuldenerlaß wollen sie mehr Mitwirkungs- und Kontrollrechte bei der Wirtschafts- und Finanzpolitik. Auch die deutsche Organisation WEED setzt sich über den Erlaß hinaus für eine Reform der weltweiten Finanzstrukturen ein.

Die Forderungen sind nicht unumstritten, besonders die Bündnisse aus dem Süden üben Kritik. Sie fordern eine Schuldenstreichung für alle Länder, nicht nur die ärmeren. Auch die Unterscheidung von „nicht zahlbaren“ und „tragbaren“ Schulden wird heftig diskutiert. Umstritten ist, wo die Grenze des Erträglichen angelegt wird und ob damit nicht nur die Länder in die Lage versetzt werden, weiter ihre Schulden zu bedienen. Dazu kommt die grundsätzliche Debatte um die Legitimation der Schulden: Warum, so die südafrikanische Jubilee-2000-Kampagne, soll die Bevölkerung nach einem langen Kampf gegen das Unrechtsregime dessen Schulden bezahlen? Auch der Gegenwertfonds wird von kritischen NGOs als eine Konditionierung der etwas anderen Art gesehen.

Einig sind sich die Basisgruppen, daß die unter dem Druck der Kampagne zusammengezimmerten Vorschläge der G 8 zur Schuldenreduzierung auf dem Gipfel nicht ausreichen. „Da wird das Vokabular der Kampagne übernommen, aber an den Konzepten wenig geändert“, kritisiert Barbara Unmüßig von WEED. Parallel zu dem Gipfel der Regierungshäupter in Köln findet unter dem Dach des Bündnisses Köln 99 vom 16. bis 18. Juni in der Volkshochschule Köln ein Alternativgipfel statt, am 19. Juni eine Großdemonstration und Menschenkette. Informationen: Bündnis Köln 99, Tel. (02 21) 9 52 00 08; E-mail: koeln99gmx.net; Infos zum Alternativgipfel im Internet: www.weedbonn.org/aktiong7

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