: Mörder oder 5. Kolonne von Milosevic
■ Schröder verteidigte auf dem Bremer Marktplatz die Nato-Politik gegen ein Pfeifkonzert und „Mörder“-Rufe / Scherf: Höhe der Wahlbeteiligung ist entscheidend für den Wahlausgang
Große Nervosität herrschte gestern im Vorfeld der Schröder-Kundgebung auf dem Bremer Marktplatz. Hunderte von SPD-Plakaten in der Stadt waren in den letzten Tagen von Nato-Gegnern überklebt worden, einige Parolen riefen ausdrücklich zur Verhinderung der Schröder-Wahlkampfveranstaltung auf. Mit zwei „Zonen“ aus spanischen Reitern versuchte die Polizei, die massenhaft auf den Marktplatz strömenden Menschen zu kanalisieren. Da die SchülerInnen schon den ganzen Tag demonstriert hatten und auch andere Nato-Gegner früh gekommen waren, hatten sie den Raum hinter dem ersten Gitter „besetzt“. Dabei standen auch etliche SPD-Anhänger mit „Stop dem Nato-Krieg“-Plakaten. In das nächste Umfeld der Wahlkampf-Tribüne waren, wie bei derartigen Veranstaltungen inzwischen üblich, nur treue SPD-Anhänger mit Einlaßkarte gekommen.
Die Aufregung war auch Wolfgang Grotheer anzumerken, dem SPD-Stadtbezirksvorsitzenden, der die Minuten bis zur Ankunft der prominenten Redner überbrücken mußte. Werbespots der SPD wurden gezeigt, und dann kam Grotheer zur Sache: „Die CDU malt ein rotgrünes Gespenst an die Wand – das gibt es nicht“, formulierte er. Aber das wollte eigentlich sowieso niemand verstehen.
Karin Jöns kam dann, die Europa-Abgeordnete, denn „eigentlich“ war der Termin einer im Europa-Wahlkampf der SPD. Sie rief den sicherlich 3.000 Menschen, die mit positiven Erwartungen oder mit Trillerpfeifen auf den Bundeskanzler warteten, zu, wieviel Geld der EU in Bremen ankommt. Die Schlachte würde ohne EU-Geld nicht ausgebaut, das Musical gebe es nicht, den Space Park nicht. 10.000 Menschen würden mit EU-Geldern in Bremen qualifiziert.
Dann kam Henning Scherf. Der Bürgermeister weiß, was die Bremer von ihm erwarten: Er knutschte Karin Jöns von hinten und begann dann, die lautstark pfeifenden Demonstranten anzureden. Die „übergroße Mehrheit wolle nicht, daß die Bürgerschaft von der PDS gesagt bekommt, wo es lang geht, rief Scherf. „Wir konzentrieren uns auf die Friedfertigen.“
Der Europa-Spitzenkandidat der SPD, Klaus Hensch, forderte ein sofortiges Import-Verbot für belgisches Hühnerfutter und meinte, es sei die Aufgabe der EU, Frieden für den gesamten Kontinent zu organisieren. Ein „Stabilitätspakt für den Balkan“ müsse her „und das kostet viel Geld“, aber „jede Mark dafür ist besser angelegt als für Bomben und Raketen.“ Auch da pfiffen viele, weil sie eigentlich gar nicht zugehört hatten und das auch nicht hören wollten.
Und dann endlich kam der Kanzler. „Wer trillert, der zeigt, daß er keine Argumente hat“, donnerte er ins Mikrophon. „Gib uns das Mikrophon“, konterte einer der Protest-Rufer – aber das konnte der Kanzler ja nicht hören. „Mörder“-Rufe. Milosevic und seine „Schergen“, das seien die Mörder, erklärte Schröder, „wir treten ihnen entgegen“. Wer das kritisiere, der müsse aufpassen, daß er nicht „zur 5. Kolonne von Milosevic“ werde. „Während ihr hier krakelt“, stünde er, der Kanzler, in schwierigen Verhandlungen, auch gerade mit Rußland, um den Schutz der Kosovo-Albaner gegen die jugoslawische Regierung durchzusetzen. Immer wieder Pfiffe, Rufe „Deutsche Soldaten – raus aus dem Balkan“, „Kriegstreiber“.
Die Veranstaltung endete so friedlich wie sie begonnen hatte.
K.W.
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