: Vom Planwerk zum Restwerk
Vor drei Jahren legte Stadtentwicklungssenator Peter Strieder einen Masterplan zur Umgestaltung der Hauptstadt vor. Was nun das Landesparlament verabschieden soll, hat nur noch wenig mit der einstigen Leitidee von der Rückgewinnung der Stadt als Wohnort zu tun ■ Von Rolf Lautenschläger
Kein Zweifel, das städtebauliche Gesicht Berlins erfährt in den kommenden Jahren ein „Lifting“. Am Potsdamer Platz, dem Regierungsviertel, in der östlichen Innenstadt und im Botschaftsquartier am Tiergarten wachsen die Häuser zu neuen Kulissen. Zu einer radikalen Operation der Stadtansicht aber wird es nicht kommen. Denn der großangelegte Entwurf „für eine gesamtstädtische Modernisierung“, wie Berlins Stadtentwicklungssenator Peter Strieder (SPD) seinen Generalplan zur Rekonstruktion der Hauptstadt einmal ankündigte, bleibt in großen Teilen Makulatur. Wird das „Planwerk Innenstadt“, wie der Masterplan offiziell genannt wird, in den kommenden Wochen zur Verabschiedung dem Landesparlament vorgelegt, wird man über ein Rudiment debattieren.
Daß Peter Strieder fast vor einem Scherbenhaufen der 1996 präsentierten Mega-Idee steht, die westöstliche Innenstadt mit ihren großen Brachen und überdimensionierten Verkehrsflächen mit einer Wiederannäherung an den historischen Stadtgrundriß zu rekonstruieren, hat mehrere Ursachen: „Die Rückgewinnung der Stadt“, wie der Autor des Planwerks, Dieter Hoffmann-Axthelm sein visionäres Kunstwerk bezeichnete, scheiterte zum einen an der mangelnden politischen Akzeptanz des „totalitären Gesamtplans“, so der Soziologe Hartmut Häußermann. Auf der rund 30 Quadratkilometer großen Fläche zwischen Charlottenburg und dem östlichen Friedrichshain klotzten die Stadtentwickler auf ungenutzten Flächenreserven über 60.000 neue teure Wohnungen für „Urbaniten“ und zusätzliche Bürobauten mit Millionen Quadratmeter Nutzfläche, ohne die lokalen Interessen und Probleme – wie Wohnungsleerstand, eigene Park- und Bauvorhaben sowie Investitionspläne – zu berücksichtigen.
Schief ging zum anderen, daß der Rekonstruktionsplan sich gegenüber der modernistischen Nachkriegsarchitektur wenig flexibel zeigte und zudem kaum Rücksicht auf die sozialen Milieus nahm. Geblieben sind heute, nach der Kritik aus den Bezirken, mehreren Überarbeitungen und „Architekturwerkstätten“ noch 23.000 Wohneinheiten und Gewerbezentren für ein paar „ausgewählte Untersuchungsgebiete“ in der Stadt, für deren Bebauung das Land jetzt private Finanziers sucht.
Zum Restwerk des Masterplans gehört, daß am Breitscheidplatz rund um die Gedächtniskirche nicht nur drei Hochhäuser entstehen sollen, sondern auch der Bürohausriegel über der Kantstraße abgerissen wird, damit diese wieder den Blick auf die Kirche freigibt. Außerdem wollen die Masterplaner auf dem Gelände des Busbahnhofs hinter dem Zoologischen Garten ein Quartier mit Dienstleistungseinrichtungen hochziehen.
Ebenfalls noch im Westen der Stadt vorgesehen sind Wohnblökke, durch die die breite Nord-Süd-Verkehrsachse „An der Urania“ wieder zurückgebaut wird. Von der eigentlichen Idee, nämlich die beiden städtebaulich getrennten Stadthälften Ost und West über den Potsdamer Platz, die Leipziger Straße bis zum Alexanderplatz durch intensive Bebauung wieder zusammenzuführen, ist dagegen wenig geblieben. Die autobahnähnliche Leipziger Straße wird zwar auf jeweils zwei Fahrspuren verschmälert und erhält eine Straßenbahntrasse, ihre immense Breite samt Hochhausrändern aber behält sie. Lediglich an ihrem östlichen Ende, dem Spittelmarkt, schlägt das Planwerk vor, mit zusätzlichen Bauten wieder den Stadtgrundriß des 19. Jahrhunderts zu rekonstruieren.
Während bei der ersten Masterplanung noch der ungeliebte sozialistische Städtebau am Alexanderplatz, vor dem Roten Rathaus, entlang der Karl-Marx-Allee oder auf der Fischerinsel durch massive „Verdichtung“ zur Disposition stand, finden nun dort nur noch „kleinere Massaker der Stadtstruktur statt“, wie Thomas Flierl, Baustadtrat aus dem Bezirk Mitte, sagt. Als Zugeständnis an die Kritik der Ostbezirke und ihrer Bewohner ist zu verstehen, daß etwa der Platz vor dem Roten Rathaus als grüne Mitte erhalten bleibt und die Plattensiedlung hinter dem Alexanderplatz nur mäßig hinter Neubauten versteckt wird.
Die heftigsten Einschnitte behält sich das Planwerk Innenstadt an der Landsberger Allee, der Luisenstadt und am Friedrichswerder im Ostteil sowie in Kreuzberg im Westen vor. Richtig ist, daß in den Nachkriegssiedlungen an der Heinrich-Heine-Straße (Luisenstadt) und der Otto-Suhr-Siedlung (Kreuzberg) die zu Hundeauslaufflächen degradierten Grünanlagen zu Parks und Wohnquartieren mit Geschäften umgerüstet werden sollen. Fragwürdiger dagegen bleibt, daß die grüne Insel Friedrichswerder zwischen Schloßplatz und Spittelmarkt, die beide bebaut werden sollen, ebenfalls mit neuen Blöcken aufgeforstet wird.
Das größte Defizit des jetzigen Planwerks aber ist, daß der Stadtentwicklungssenator gezwungen war, mit Verkehrssenator Jürgen Klemann (CDU) Kompromisse bei der Verkehrsführung einzugehen. Statt rückgebauter Straßen und großer Plätze bleiben viele Verkehrstrassen erhalten. Und schlimmer noch sei, moniert Ida Schillen, baupolitische Sprecherin der bündnisgrünen Fraktion, daß Straßendurchbrüche und insgesamt „rund 90 Kilometer mehr Straßenland“ nun zum Bestandteil des Planwerks avancierten. Während der Durchbruch der Französischen Straße bis hinüber zum Tiergarten schon lange zu den Begehrlichkeiten der Verkehrsplaner gehörte, ist die Verlängerung der Ostberliner Landsberger Allee bis zum Alexanderplatz ein Novum und ein strittiges dazu: Denn der Durchstich bis zum Alex liegt zwischen bestehenden Wohngebäuden, die zudem straßenbegleitende Neubauten erhalten sollen: die Ostarchitektur wird zum Hinterhof. Die Leitidee, nämlich weniger Verkehr in der Stadt zuzulassen, damit die Bürger von der Stadtflucht Abschied nehmen und eine lebenswertere Innenstadt vorfinden, sei damit „ad acta gelegt“. Es bleibt also beim „Lifting“.
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