: Belgier exportieren ihren Skandal
■ In Deutschland klappern Lebensmittelkontrolleure Supermärkte nach dioxinverseuchten Eiern und Hühnern ab, Belastung bei Verzehr bis zu 530mal höher als der empfohlene Wert
Berlin (taz/dpa) – Nachdem Belgien den Großhandel mit landeseigenen Huhn- und Eierprodukten verboten hat, durchforsten auch in Deutschland nun Lebensmittelkontrolleure die Supermärkte nach belgischem Hühnerfleisch und Eiern. Sie wurden bereits in mehreren Bundesländern fündig.
In Sachsen-Anhalt entdeckten Veterinäre zum Beispiel zwei Tonnen Hühnerfleisch in einem Umpackzentrum in der Altmark und beschlagnahmten die Ware. Auch in Thüringen und Rheinland-Pfalz wurde belgisches Geflügelfleisch gefunden und aus dem Verkauf genommen.
Dabei ist nicht klar, ob die beschlagnahmten Lebensmittel wirklich alle dioxinbelastet sind. Sie werden jetzt in den Labors der Länder untersucht.
Bereits seit Samstag fahnden in Nordrhein-Westfalen Lebensmittelkontrolleure nach dioxinverseuchtem Hähnchenfleisch im Handel. Dort sind auch zwei Masthähnchen-Betriebe in den niederrheinischen Gemeinden Neukirchen-Vluyn im Kreis Wesel und Schwalmtal im Kreis Viersen betroffen, die dioxinverseuchtes Futter aus Belgien gekauft und bereits im Februar verfüttert haben.
„Wir müssen davon ausgehen, daß die Hähnchen schon im März auf den Mark gebracht und verzehrt worden sind“, sagte die nordrheinwestfälische Umwelt- und Landwirtschaftsministerin Bärbel Höhn (Grüne/Bündnis 90). Einer der Betriebe habe die meisten der betreffenden Masthähnchen in die Niederlande verkauft, der andere habe verschiedene Schlachthöfe beliefert.
Der niedersächsische Landwirtschaftsminister Uwe Bartels (SPD) teilte mit, daß am Sonntag bei Lüneburg ein belgischer Lastwagen mit Eiern entdeckt worden sei. Sollten sich Hinweise auf eine Dioxinbelastung ergeben, werde der Lastwagen verplombt und nach Belgien zurückgeschickt. Die Hamburger Gesundheitsbehörde läßt ebenfalls Warenlager des Großhandels, Kühlhäuser und Geschäfte durchsuchen. Das schleswig-holsteinische Landwirtschaftsministerium hat vorsorglich eine Untersuchung aller Futtermittelhersteller angeordnet.
Ursache für die Aufregung: In Belgien wurde vermutlich bereits seit Anfang des Jahres verseuchtes Hühnermastfutter verkauft und in einigen Betrieben verfüttert. Vermutlich durch die Verunreinigung mit Motorenöl gelangten Dioxine in das Futter. Es besteht keine akute Gesundheitsgefahr, doch Dioxine gelten auch in sehr kleinen Dosen als krebserzeugend oder zumindest krebsfördernd.
Die Weltgesundheitsorganisation empfiehlt daher, nicht mehr Dioxin mit der Nahrung einzunehmen, als einer Aufnahme von einem bis vier Pikogramm vom giftigsten Dioxin TCDD pro Kilogramm Körpergewicht pro Tag entspricht. Ein Pikogramm ist ein Billionstel (ein Millionstel von einem Millionstel) Gramm. Dioxine werden vor allem mit Milchprodukten, Fisch und Fleisch aufgenommen. Die deutschen Gesundheitsbehörden streben eine Belastung von unter einem Pikogramm an.
In Deutschland nimmt man im Durchschnitt mit der Nahrung so viel Dioxine auf, daß es 0,7 Pikogramm TCDD pro Kilo pro Tag entspricht. Nahe Autobahnen oder Chemiefabriken kann die Belastung allerdings höher sein.
Nach Angaben des Landwirtschaftsministeriums von Nordrhein-Westfalen ergibt sich beim Verzehr einer belasteten belgischen Brathähnchenmahlzeit eine Überschreitung des deutschen Zielwertes um das bis zu265fache, bei Suppenhühnern im ungünstigsten Fall um das 530fache und beim Verzehr eines Eies um bis zum 65fachen.
Eierpackungen, die aus Belgien stammen, können am „B“ vor der Packstellennummer „PN“ erkannt werden. Der Naturschutzbund forderte die Verbraucher zu einer „Politik mit dem Einkaufskorb“ auf. Der Vorfall belege einmal mehr, daß die gesamte industrielle Massentierhaltung „ein Risiko für den Verbraucher darstellt“. urb
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen