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„Die Allianz der Planwirtschaftler“

Die Bundesegierung war angetreten, die EU für die Osterweiterung fit zu machen. Die Agenda 2000 aber hält nicht, was sie verspricht. Ein Rückblick auf die Ergebnisse der deutschen Ratspräsidentschaft    ■ Von Daniela Weingärtner

Bonn (taz) – Mit einem zweitägigen Gipfel geht ab morgen in Köln das deutsche Halbjahr der EU-Ratspräsidentschaft zu Ende. Die Details des ehrgeizigen Reformprojekts Agenda 2000, mit dem die neue Bundesregierung ihre EU-Amtszeit schmücken wollte, sind zwischen den Kosovo-Schlagzeilen untergegangen. Der öffentliche Kassensturz blieb aus.

Betrachtet man die Ergebnisse des Berliner Agenda-Gipfels Ende März mit kühlem Abstand noch einmal genauer, wird klar, daß den deutschen Neulingen auf dem Euro-Parkett nichts Besseres hätte passieren können.

Er könne auch nicht so genau sagen, was sie nun eigentlich beschlossen hätten, hatte ein übermüdeter Bundeskanzler nach der langen Nacht von Berlin den irritierten Journalisten erklärt. Man habe sich geeinigt – das sei die entscheidende Nachricht des Tages. Eine Reform der Reform werde spätestens beim nächsten Beitritt zur Union fällig, hatte Außenminister Fischer gleich anschließend eingeräumt.

Dabei waren die Deutschen mit dem Ziel angetreten, eine nach Osten sich öffnende EU so zu reformieren, daß sie bezahlbar bleibt. Den Ausstieg aus der Subventionswirtschaft, Einstieg in eine wettbewerbsfähige und gleichzeitig ökologische Landwirtschaft sollte die Agrarreform bringen. Das kaum noch durchschaubare, teure Prämiensystem, das weder Höfesterben verhindert hat noch ökologisches Wirtschaften begünstigt, sollte durchforstet werden.

Mit dem nun vorliegenden Ergebnis sind die Kritiker aus allen politischen Lagern gleich unzufrieden. Der neoliberale Bonner Agrarökonom Rudolf-Ernst Wolffram wählt angesichts des halbherzigen Subventionsabbaus drastische Vergleiche: „Wenn Sie dem Sargtischler einen Interventionspreis für Särge zahlen, holzt der auch alle Wälder ab, obwohl die Sterberate gleich geblieben ist.“

Unter der Überschrift „EU-Agrarreform – die kaschierte Vernichtung von Steuermilliarden“ zieht der Wissenschaftler eine niederschmetternde Bilanz. Das schizophrene System aus Stützpreisen und Stillegungsprämien, so seine These, koste den Staat ein Vielfaches dessen, was am Ende den Landwirten zugute kommt. Seit 1980 sei den europäischen Volkswirtschaften etwa eine Billion Mark ohne Gegenleistung entzogen worden.

Am Beispiel Getreide rechnet er seine Überlegungen vor: Überschußgetreide kostet den Staat etwa 170 Mark pro Tonne. Dieser Betrag enthält Flächenbeihilfen, Exportsubventionen, Kosten für Transport und Lagerhaltung. Beim Landwirt und den Düngemittelherstellern, Traktorenfabrikanten und Brötchenbäckern bleiben davon rund 50 Mark hängen. Diese ungünstige Bilanz kommt zustande, weil das weiterhin bestehende Subventionssystem auch Bauern an schlechten Getreidestandorten zur Produktion ermutigt. Würde man, so Wolfframs griffiges Beispiel, den Mercedes der Sonderklasse auf 25 000 Mark heruntersubventionieren, dann ginge der weg wie warme Semmeln – jeder Berufsanfänger könnte sich dann einen SL leisten. „Die Allianz der Planwirtschaftler“ nennt Wolffram das agrarpolitische Bündnis aus rechten Quotenbefürwortern und linken Preissubventionierern, die alle miteinander verhindern, daß die Vernunft Einzug hält in Europas Agrarpolitik.

Wolfframs politisches Credo ist es, den Agrarmarkt dem freien Spiel der Kräfte zu überlassen. Unwirtschaftliche Höfe sollen dichtmachen. Wenn die europäische Kulturlandschaft denn unbedingt subventioniert werden soll, dann wenigstens mit Direktbeihilfen. Dann käme jede Mark genau dort an, wo sie politisch Gewünschtes bewirkten kann. Und das Problem der Überschußproduktion würde sich nebenbei mit erledigen.

Dem kann Klaus-Peter Hutter, Präsident der Stiftung Euronatur, nur zustimmen. Die Kritik am Reformwerk von ökologischer Seite fällt ebenso vernichtend aus wie die des Wirtschaftswissenschaftlers. Weiterhin werde sehr viel Geld in die Landwirtschaft gepumpt. Die Chancen für naturgerechten Landbau verbesserten sich dadurch aber nicht.

Ein Beispiel für viele: die Silomaisprämie. Im Kommissionsvorschlag zur Agrarreform war sie nicht mehr enthalten, was von Umweltschützern sehr begrüßt wurde. Denn Maisanbau führt zu Bodenerosion. Durch die Subventionspolitik ist die Grünlandfläche Westdeutschlands in den letzten 20 Jahren um ein Viertel zurückgegangen – ein großes Naturschutzproblem. Auf Drängen Deutschlands und anderer maisproduzierender Länder steht die Prämie nun wieder im Agenda-Kompromiß.

Die Bilanz von Berlin brachte der europapolitische Sprecher der Union, Horst Seehofer, in einem Satz unter: „Wenn alle nach Hause fahren und sagen, es war wunderbar in Berlin – dann muß das ja einer bezahlt haben ...“

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