: Wanted: Vorzeigbares Pissoir für sechs Männer
Seit Berlin als Kulisse für Film- und Fernsehproduktionen immer beliebter wird, boomt auch das Geschäft der Location Scouts. Die suchen die perfekten Drehorte. Neben maroden Fabrikhallen beschaffen sie Luxus-Lofts und becircen Mieter mit dem Glamour des Films ■ Von Kirsten Küppers
Der Run auf die Plattenbauten ist vorbei. Als in den Jahren nach Mauerfall jede Vorabendserie mit ein bißchen Ost-West-Zusammenführung hausieren ging à la Zwilling aus Neukölln trifft Zwilling aus Marzahn 40 Jahre später, mußte Claudia Menge noch oft in die Plattensiedlungen fahren. Wohnungen suchen, möglichst ostig möbliert und ohne Satellitenschüssel am Balkon. Und vor allem mit Mietern, die es gelassen ertragen, wenn ein fünzigköpfiges Filmteam in ihre Privatsphäre einfällt. Claudia Menge ist Location Scout. Sie findet Drehorte für die Werbe-, Film-, Fernseh- und Musikvideobranche.
Die Hauptstadt ist dabei, die filmisch reichlich abgegrasten Städte München und Hamburg als Lieblingsschauplätze für Krimifolgen und Stadtgeschichten abzulösen. Weil dort jede Villa längst per Kameraausschnitt abgefrühstückt sei, „boomt es seit zwei Jahren in Berlin“, sagt Menge und teilt diese Auffassung mit ihren Kollegen der etwa 15 Berliner Location-Agenturen. Regiestoff ist dabei keineswegs nur die Berlin gewöhnlich repräsentierende Hinterhofromantik plus drolligen Berliner-Schnauze-Sprüche-Kloppern. Luxuriöse Altbauwohnungen werden ebenso nachgefragt wie moderne Architektur oder Orte der Clubszene.
„Selbstverständlich suchen wir die Klischees, aber das wollen die Leute sehen. Doch man kann von der Großstadt bis zum Dorf, der Burg, dem Bauernhof oder Loft alles in Berlin filmen“, schwärmt Iris Lanz von der Agentur „Berlin Location“ und malt Berlin deswegen gar als „Locationstadt Nummer eins“ an die Wand. Vor dem Scout-Zeitalter mußten Szenenbildner, Aufnahmeleiter oder Regisseur selbst die geeignete Kulisse finden. „Inzwischen nutzt man vor allem aus Zeitgründen die Dienste der Locations Scouts“, sagt Eike Schmitz von der Produktionsfirma Atlantis Film. Dem Regisseur bisweilen binnen Stunden den unverwechselbaren Schauplatz zu liefern, auf daß auch dem breiten Fernsehpublikum das Kolorit der geheimen Kellerbar im zweiten Hinterhof nicht verborgen bleibe – das ist das tägliche Brot der neuen Berufsgruppe. So muß sich der Drehortsucher Andreas Lüdtke trotz umfangreichen Archivs für ausgefallene Kundenwünsche ständig neu auf die Suche machen. Für eine Werbefilmproduktion einer Zigarettenmarke mußte er etwa feststellen, daß Berlin zwar über viele vorzeigbare Pissoirs verfügt, aber nur die Pinkelrinne des Hotel Interconti breit genug ist, daß dort sechs Männer und eine Kamera stehen können.
Doch mit dem Aufspüren des charakteristischen Drehortes ist die Arbeit der Scouts nicht getan. Anschließend muß ein ganzer Pakken Drehgenehmigungen beschafft werden. Angesichts der Tatsache, daß in Berlin täglich durchschnittlich an 35 Orten parallel gedreht wird, doch die Scouts klagen über mangelnde Kooperation der Behörden. Zwar hat der Senat das Filmtreiben inzwischen als Wirtschaftsfaktor erkannt, doch Berlin und Brandenburg fördern die Filme derzeit gemeinsam jährlich nur mit 26 Millionen Mark. Das hat gegenüber München oder Nordrhein-Westfalen, wo Filmemacher über 60 Millionen Mark öffentlicher Gelder erhalten, fast Taschengeldcharakter.
Doch das größte Risiko im Job bleibt „Faktor Mensch“, berichtet Location Scout Gernot Zeglien über Pförtner, Sicherheitspersonal und Hausmeister, die zwar nicht mit der Schrotflinte am Zaun stünden, denen man aber nur mit „großer Klappe“ ihre Reviere rauskitzeln könnte. Einfacher seien da oft die Mieter kamerageeigneter Wohnungen. Denen könne man immer noch mit Glamour kommen. Einem Herrn Mayer aus dem Wedding wird, glaubt man Zeglien, im allgemeinen warm ums Herz, wenn das „Tatort“-Erotikopfer vom Dienst, Sonja Kirchberger, in seinen vier Wänden sterben soll. Denn wenn man schon nicht selbst berühmt wird, dann wenigstens die eigene Couch.
Finanziell lohnt sich die Bereitstellung von Räumen durchaus. Zwischen 500 und 5.000 Mark pro Tag gibt es für einen Drehort. In Location-Scout-Kreisen lästert man bereits über eine „Frau F.“, die mit ihrer Villa im Grunewald ihren Lebensunterhalt bestreiten soll. Und auch die leerstandsgeplagte Immobilienbranche will an der Glitzerwelt verdienen. „Es melden sich viele Bauherren“, berichtet Claudia Menge, „die Büroetagen und Eigentumswohnungen für eine filmische Zwischennutzung vermieten wollen.“ So fürchtet Gregor Zeglien wenigstens nicht, in der Altbaufalle zu sitzen, wenn irgendwann alle maroden Straßenzüge saniert sind. Zwar repräsentieren verfallene Häuser ein bereitwillig ausgeschlachtetes Abziehbild Berlins, aber wenn die verschwinden, „kommen eben neue Bilder“, meint er. Echtes morbides Ambiente wird sowieso längst in Prag gedreht.
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