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Wenn Wasser plötzlich wie Sekt schmeckt

Endlich hat Berlin, was ihr noch zur richtigen Hauptstadtfähigkeit fehlte: eine Hochstaplerakademie. Auf dem gestrigen „1. Internationalen Hochstaplerkongreß“ in Kreuzberg wurde die Rolle der Hochstapler in der Postmoderne diskutiert  ■   Von Barbara Bollwahn de Paez Casanova

Angekündigt ist ein Sektempfang. Feierlich reichen Hostessen mit kleinen gelben Halstüchern bis zum Rand gefüllte Gläser. Verzückt betrachten die Gäste das Aufsteigen der Kohlesäurebläschen an diesem Sonntag vormittag und loben die belebende Wirkung des Getränks zu dieser Tageszeit. Niemand kommt auf die Idee, sich die Farbe des Sektes genauer anzuschauen. Wozu auch? Wo Sekt angekündigt und entsprechend gereicht wird, ist auch Sekt drin. Welch süßer Betrug, erst beim zweiten Schluck zu merken, daß der Sekt Wasser ist. Als eine Hostesse eine zweite Runde bringt, verbietet sich jede Frage nach dem Inhalt der Gläser. „Noch ein Glas Sekt gefällig?“ „Aber ja, gern.“ Es tut keinem weh und beschert das einmalige Erlebnis, Wasser für Sekt gehalten zu haben.

Ein besseres Entree hätte nicht gefunden werden können für den gestern stattgefundenen Kongreß der besonderen Art: der „1. Internationale Hochstaplerkongreß“. Die kürzlich gegründete „Berliner Hochstaplerakademie“ hatte in den Kreuzberger Wasserturm, ein Kulturzentrum, geladen, um unter dem Motto „Hochstapelei – Im Focus der Postmoderne“ den unbeendeten Roman von Thomas Mann „Die Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull“ quasi fortzuschreiben.

Gründer der Akademie sind Prof. Dr. Carsten Jensen und Prof. Dr. Robert Mingau. Obwohl sich Fragen nach wahren Fakten eigentlich verbieten und es nur darauf ankommt, etwas glaubwürdig vorzugeben, sei verraten, daß Jensen zumindest wirklich Jensen heißt und Geographiestudent aus Schwaben ist. Doch schon die Anzahl der studierten Semester hüllt er in einen „Mantel des Schweigens“. Gesprächig wird der 29jährige Mann im schicken schwarzen Anzug nur beim Kongreßthema. „Es geht um eine Lebenslaufverkürzung“, sagt er, „wir wollen nicht so lange warten, um zum oberen Establishment zu gehören.“ Deshalb dürfe die Hochstapelei nicht mehr kriminalisiert, sondern müsse endlich honoriert werden. „Jeder hat zumindest die Veranlagung, ein Hochstapler zu sein“, ergänzt sein Kompagnon Mingau, der auch so heißt und vergleichende Literaturwissenschaft und spanische Philologie studiert. In unserer postmodernen Gesellschaft sei es „völlig legitim“, mehr vorzugeben, als man ist. „Das ist die Schizophrenie unserer Gesellschaft.“ Die Welt schreit danach, von ehrgeizigen Taugenichtsen und ihrem Charme betrogen zu werden, also betrügt man sie wie ehemals Felix Krull. Nur die Namen haben sich geändert.

Um herauszufinden, was oben und unten, wahr und falsch, subjektiv und objektiv, fiktiv und real ist, bot der Kongreß eine Fülle von Themen. Da ging es um den „kultischen Ursprung des Käsehobels“, um die „subversive Unterwanderung der DDR-Grenztruppen durch die Zeitzer Zirkel“ und „die wahren Ursachen des Mauerfalls“. Auch ein Ausflug zu den „Hempelschen Sophisten und dem Begriff der Lungomanie“ fehlte nicht, sowie eine Signierstunde mit dem „Literaturnobelpreisträgeranwärter Litus P. Plagiadse“.

Ein Mann namens Achmed Adolf Wolfgang Al-Khammas, der mit Meerwasserfällen zur Lösung der weltweiten Energiekrise beitragen will – „eine abgefahrene Idee“, wie er sagt, hat sich besonders über die Kongreßeinladung gefreut. „Hier bekennen sich Leute zur Hochstapelei“, jubelte er. Vermißt hat er jedoch Politiker wie den Regierenden Bürgermeister von Berlin oder den Polizeipräsidenten. „Der hätte den Prodski des Jahres verdient“, meinte er. „Das, was die Parteien vor den Wahlenmachen, ist Hochstapelei.“

Um dem Kongreß den nötigen kontroversen Tiefengang zu geben, kamen auch Menschen zu Wort, die sich nicht der These anschlossen, daß alle einen kleinen Hochstapler in sich tragen. Stephan Porombka von der Berliner Humboldt-Universität war so einer. Ein charmanter junger Mann im hellen Sommeranzug, der viele Worte benutzte, deren Bedeutung sich auch nicht mit fortschreitendem Sektkonsum erschlossen, aber ungemein gelehrt und lustig klangen. Verständlich war nur, daß er sich selbst als „Gegenbeweis“ präsentieren wollte. Als „Beleg“ dafür machte er den etwa 80 Zuhörern weis, daß sich gerade Universitäten gut vor Hochstaplern zu schützen wüßten. „Jeder, der da hinkommt, ist auf Herz und Nieren geprüft“, beschwor er das Publikum, das sich schlapplachte. Für die Feststellung: „Wer das Vaterproblem bei Kafka studiert, muß nicht zeigen, daß er mit der Gegenwart nichts zu tun hat“, erntete er große Zustimmung.

Bevor sich das Publikum entscheiden konnte zwischen Wahr und Falsch, mußte es sich auch schon mit der nächsten Frage beschäftigen. Sind Schwindel und Hochstapelei identisch? Ist der Schwindel auf der nördlichen Halbkugel rechtsdrehend und auf der südlichen linksdrehend? Es wurde einem schwindelig bei so viel Schwindel.

Daß dieser Kongreß in Berlin stattfand, war kein Zufall: „Berlin ist die Stadt der Superlative“, so Carsten Jensen. „Berlin ist die größte Stadt Deutschlands“, meinte Robert Mingau. So ein Kongreß könne unmöglich „in einem Kaff wie Frankfurt“ stattfinden. Doch nach kurzem Nachdenken schob Mingau nach, daß in Frankfurt, der Hauptstadt der Banken, vielleicht der nächste Kongreß über die Bühne gehen könnte.

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