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„Ich will nicht unter Verbrechern leben“

■  Rechtsstaat auf kroatisch: Vor zwei Jahren gestand der Expolizist Miro Bajramovic, 72 Morde an der serbischen Bevölkerung in Kroatien verübt zu haben, im Krieg von 1991. Auf 20 Monate Haft lautete jetzt das Skandalurteil

Zagreb (taz) – Im Sommer 1997 erschütterte der Fall für Wochen die kroatische Öffentlichkeit: Miro Bajramovic, Exmitglied einer Spezialeinheit der Polizei in der Republik Kroatien, berichtete im Interview mit der in Split erscheinenden Wochenzeitung Feral Tribune, er und seine Kameraden hätten während des Krieges 1991 in der Ortschaft Pakracka Poljana bei Zagreb mindestens 400 Menschen ermordet. Die Opfer seien in der Mehrzahl Bürger serbischer Nationalität gewesen – aber auch Kroaten, die als Gegner der Regierungspartei „Kroatische Demokratische Gemeinschaft“ (HDZ) von Präsident Franjo Tudjman galten.

Bajramovic gab an, er sei ein ehemaliges Mitglied der nach ihrem Führer Tomislav Mercep benannten „Jedinica Mercep“ (Einheit Mercep), die mit der Beseitigung von Menschen beauftragt gewesen sei, die als Bedrohung für die Sicherheit des kroatischen Staates eingestuft wurden. Er berichtete detailliert über Folter und Morde. Vor allem die Tatsache, daß sich seine Schilderungen vielfach auf bekannte, aber nie geklärte Fälle von Mord und Verschwinden von Menschen bezogen – und fehlende Teile zu einem vollständigen Bild der Fälle zu liefern schienen – schockierte.

Trotzdem wurde Bajramovic zusammen mit sechs weiteren Ex-Mitgliedern der „Jedinica Mercep“, die er schwer belastet hatte, erst Wochen später verhaftet. Anklage wurde nur erhoben wegen Aneignung fremden Eigentumes und Verschleppung dreier Personen. Nur in drei Fällen war es der Anklage gelungen, Überlebende zu finden, die bereit waren, vor Gericht als Zeugen auszusagen.

Vergangenen Montag wurde das Urteil gesprochen: Bajramovic bekam ein Jahr und acht Monate, worauf ihm die Zeit in der Untersuchungshaft angerechnet wurde; er verließ den Gerichtssal als freier Mann. Sein Exkamerad Branko Saric – den Bajramovic der Verschleppung, der Erpressung und des Mordes bezichtigt hatte – erhielt ein Jahr Gefängnis. Die vier anderen Mitangeklagten wurden freigesprochen.

Dabei hatte es an Beweisen nicht gerade gefehlt: Der dritte Angeklagte, Stjepan Mandarelo, der in der Untersuchungshaft starb, hatte seine Mitangeklagten zuvor noch schwerer belastet als Bajramovic. Seine Aussage aber wurde bei Gericht nicht akzeptiert, weil sie in Abwesenheit eines Anwalts erfolgt sei. Die drei anwesenden Überlebenden hatte die Kammer zuvor als „nicht glaubwürdige Zeugen“ eingestuft – weil sie sich „in ihren Aussagen nicht genau genug erinnern konnten“.

Die Richter hatten offenbar nicht bemerkt, daß die Zeugen bereits auf dem Weg zum Gericht und im Saal unter massiven Druck gesetzt wurden. In den Verhandlungspausen wurden die drei Ex-gefangenen des Privatlagers der „Jedinica Mercep“ regelmäßig von grimmig blickenden Männern in Schwarz umzingelt. Für die Angeklagten – die während des Prozesses geschwiegen hatten – fand das Gericht dagegen mildernde Umstände. In den Begründungen zu ihren Urteilen wird beispielsweise lobend erwähnt, daß keiner von ihnen vorbestraft ist. Nicht erwähnt wird, daß gegen alle vier Freigesprochenen zuvor Anklagen wegen Verbrechen gegen die serbische Bevölkerung Kroatiens erhoben worden waren.

Was Wunder. Die „Jedinica Mercep“ wird schon 1991 in Verbindung mit dem (nie geklärten) Verschwinden mehrerer serbischer Bürger Vukovars gebracht. Einige Exmitglieder werden des Mordes an der einflußreichen Zagreber Familie Zac bezichtigt. Chronologisch folgt dann der Fall Pakracka Poljana, der bis zur Zeitungsaussage Bajramovic' öffentlich nie erwähnt worden war. Anschließend waren Merceps Mannen nach Gospic versetzt worden, wo daraufhin an die 400 Serben in das Bergmassiv Velebit verschleppt und ermordet wurden – von bis heute unbekannten Tätern.

Josip Manolic, zu Kriegszeiten Innenminister Kroatiens, bestätigte nach seiner politischen Trennung von Präsident Tudjman 1994, daß er und Tudjman selbst von diesen Vorgängen informiert gewesen seien. In einem Land, wo der Justizmimister Dr. Zvonimir Separovic vor laufenden Kameras den vom Haager Kriegsverbechertribunal des Völkermords angeklagten Zlatko Aleksovski küßt und mit dem Orden „Kroatischer Ritter“ auszeichnet, ist eben alles möglich – auch, daß Munib Suljic, einer der im Bajramovic-Prozeß Freigesprochenen, noch im Gerichtssaal Pressevertreter bedroht und ihnen ins Gesicht spuckt.

Der bekannte Belgrader Anwalt Srdjan Popovic verließ Jugoslawien 1991 mit dem Satz: „Ich will nicht unter Verbrechern leben!“ Für uns Hiergebliebene ist genau das Alltag. Tatjana Tagirov ‚/B‘Übersetzung: Rüdiger Rossig

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