: Lieber Protest als Lobbyarbeit
■ Indische Basisbewegungen wollen beim G-8-Gipfel zeigen, daß sie gegen Liberalisierung, WTO und Gentechnik sind
Köln (taz) – Sie kratzten das Ersparte zusammen, liehen sich Geld oder bekamen das Ticket von ihrem Dorf: Mehr als 1.000 wollten kommen. 370 indische KleinbäuerInnen und FischerInnen erhielten letztlich ein Visum und brachen zu der abenteuerlichen Reise auf. Ihre Ziele: Paris, London, Berlin, Mailand, Genf. Und als Höhepunkt: der G-8-Gipfel, der vom 18. bis 20. Juni in Köln stattfindet. Am 19. Juni soll es eine Großdemonstration von Gipfel-GegnerInnen aus aller Welt geben.
Die InderInnen sind Teil der Intercontinental Caravan 99 (ICC 99) und erzählen gemeinsam mit rund 40 BäuerInnen und BasisvertreterInnen aus Mexiko, Brasilien, Bangladesch und Nepal allen, die es hören wollen oder auch nicht, daß sie gegen die Liberalisierung, gegen Gentechnik, gegen die WTO sind.
Anita Sahai kennt die Folgen der veränderten Wirtschaftsmuster aus ihrer eigenen Familie. Ihr Vater ist einer der Millionen Kleinbauern Indiens. Wie viele andere glaubte er vor einigen Jahren den Versprechungen der indischen Regierung, daß er mit dem neuen Saatgut, einer Hochertragssorte, mehr ernten und mehr verdienen würde. Nicht gesagt hatte man ihm, daß er zusätzlich Dünger und Pestizide kaufen muß. Heute noch zahlt er den Kredit zurück, den er dafür aufnahm. „Zurück kann er nicht, das ökologische Gleichgewicht des Bodens ist zerstört“, sagt Anita Sahai.
Sie selbst arbeitete zunächst als Streetworkerin, bevor sie sich der Bewegung Narmada Bachoa Andolan (NBA) anschloß. NBA setzt sich gegen den Bau von Staudämmen an dem für die InderInnen heiligen Narmadafluß ein und zählt sich wie die indische Bauernbewegung KRRS zu den Basisbewegungen. Karnataka Rajya Ryota Sangha (KRRS), der die meisten der indischen ICC-VertreterInnen angehören, ist eine der größten Bauernbewegungen Indiens mit über 10 Millionen Mitgliedern. Sie setzt sich dort gewaltfrei gegen Biotechnologie und Chemieeinsatz ein – es waren Mitglieder der KRRS, die im November 1998 Felder des Gentech-Multis Monsanto in Brand steckten. Der Protest richtete sich gegen die Entwicklung der sogenannten Terminatortechnologie – steriles Saatgut, das nach der Ernte nicht wieder eingesetzt werden kann.
Letztlich ist die ICC ein Projekt der „Peoples Global Action, eines weltweiten informellen Zusammenschlusses von Basisbewegungen, der sich anläßlich der WTO-Verhandlungen im Frühjahr 1998 gründete und reformistische Ansätze laut Manifest ablehnt: „Wir glauben nicht, daß Lobbyarbeit einen größeren Einfluß auf derart voreingenommene, undemokratische Organisationen haben kann.“
Ein Erlebnis vom Freitag morgen scheint ihnen recht zu geben: Als zwanzig ICC-VertreterInnen mit deutschen DemonstrantInnen vor dem Max-Planck-Institut für Züchtungsforschung in Köln, das Grundlagenforschung in der Gentechnik betreibt, protestierten, sahen sie sich plötzlich in den Hörsaal eingeladen. „Es gibt zu viele Menschen auf der Erde, die Nahrungsmittel brauchen“, versuchte Professor Heinz Saedler zu erklären, warum Gentechnik wichtig sei. „Wir können noch viel mehr Menschen ernähren“, gab ein ICC-Vertreter zurück, „das ist eine Frage der Planung, nicht der Gentechnik.“ Man habe „Erfahrungen mit Hochertragssorten“, wirft ein anderer ein: „Ihre Genkartoffel ist keine Lösung für Menschheitsprobleme, sondern ein Geschäft.“ Nach einer Stunde hatte Saedler genug und forderte die InderInnen auf, das Gelände zu verlassen.
„Die Reise ist sehr interessant“, beantwortete die Inderin Prawati eine Frage nach europäischen Eindrücken. „Nur das Essen schmeckt nicht. Es ist einfach nicht scharf genug.“ Maike Rademaker
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