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Immer sind die Belgier schuld  ■ Von Hilde Van Poucke

Ich habe es satt. Seit Tagen schon muß ich mir mindestens einmal pro Stunde eine sehr lustige Bemerkung oder einen noch viel lustigeren Witz anhören. Es dreht sich immer – Sie ahnen es schon – um Hühner, um Eier und, nicht zu vergessen: um Dioxin. Ob Kollegen, Freunde oder Nachbarn: Alle müssen beim Anblick einer Belgierin reflexartig, ja fast zwanghaft etwas zum Thema loswerden. Ich fühle mich dann genötigt, möglichst wortgewandt zurückzuschießen, aber, ehrlich gesagt, fällt mir dazu recht wenig ein.

Im Gegenteil: ich bin schwerstens betroffen, verdiene eigentlich Mitleid. Denn wie es der Zufall wollte, war ich gerade vergangene Woche in Belgien, in Gent sogar, in der Stadt, die nicht nur mich, sondern auch das teuflische Tierfutter hervorgebracht hat. Als nicht dogmatische Vegetarierin habe ich mich viermal dazu überreden lassen, Fleisch zu essen. Hühnerfleisch versteht sich, denn, so das Argument, das schmeckt auch Vegetariern halbwegs. Am Tag danach ging das Dioxin-Theater los.

Aber – wir Belgier nehmen so was gelassen. Wir haben schon Hormonfleischskandale hinter uns gebracht und leben immer noch. Und bald kommt bestimmt die nächste Horrormeldung raus: zum Beispiel, daß Pralinen und Pommes Arsen enthalten oder dick machen oder sonst etwas Schreckliches. Dann werden die Belgier es wie gewohnt mehr oder weniger achselzuckend zur Kenntnis nehmen, und die Deutschen werden – auch wie gewohnt – in Panik verfallen. Dabei hat jeder Skandal auch seine guten Seiten, wenn man es sich genau überlegt. Meine Pickel zum Beispiel sind ab sofort Dioxin-Akne, und ich muß mir nicht mehr vornehmen, mit dem Rauchen aufzuhören, denn ich werde eh Krebs kriegen.

Aber hierzulande nimmt man Risiken und Nebenwirkungen von belgischen Hühnchen ernst. Das Böse kommt aus Belgien, spätestens seit Dutroux ist das Nachbarland zu diesem zweifelhaften Ruhm gekommen. Ich versuche tapfer, mit meiner Herkunft in meiner Berliner Umgebung klarzukommen, obwohl mich manchmal das Gefühl beschleicht, daß ich wie ein herumspazierendes Dioxin-Gefäß betrachtet werde. Deshalb ist es mir wichtig zu betonen: Ich habe keine Schuld an dem Dioxin-Skandal, ehrlich nicht. Schließlich lebe ich schon seit mehreren Jahren in Berlin. Auch der Kinderschänderskandal war nach meiner Zeit. Wirklich, die Belgier sind nicht immer schuld, das Böse sitzt uns nicht in den Genen. Wir haben nur eine besondere Begabung für Skandale.

intershop erscheint in Zusammenarbeit mit dem Radiosender SFB 4/MultiKulti

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