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Börse statt Pferdewette

Viele Rennbahn-Zocker wechseln zur Börse. Optionsgeschäfte sind das lukrativere Glückspiel    ■ Von Elmar Peine

Berlin (taz) – Peter Weiser wohnt in Berlin in der Nähe der Trabrennbahn Mariendorf. Früher war er häufiger mal an den Renntagen da, um ein paar Mark auf ein Pferd zu setzen. Wenn ihn heute das Wettfieber packt, schaltet er seinen Computer an und handelt im Internet mit Optionsscheinen.

Damit befindet er sich in guter Gesellschaft. Während die Rennbahnbetreiber über Umsatzrückgang klagen – 1998 allein acht Prozent – und Spielcasinos über Einbußen stöhnen, boomt das Geschäft mit Optionen. 1998 wurden mehr als 10.000 verschiedene Scheine in Deutschland über Börsen und Bankschalter gehandelt, für 1999 darf mit mindestens einem Fünftel mehr gerechnet werden. Dabei steigt der Anteil der unprofessionellen Marktteilnehmer ständig, die Derivate nicht zur Absicherung von besonderen Risiken nachfragen. In einer Umfrage der Deutschen Kapitalmarktforschung bei Personen, die mindestens gelegentlich mit derivativen Märkten in Berührung kommen, bezeichneten sich jüngst mehr als sechs von zehn Teilnehmern als (gelegentliche) Zocker.

Für Peter Weiser ist der Optionsschein eine Wette mit überschaubarem Einsatz und gar nicht mal schlechten Ertragsaussichten. Während beim Lotto immerhin die Hälfte und beim Pferderennen etwa ein Drittel der Einsätze einbehalten werden, betragen die Gebühren für Optionsscheine weniger als ein Zwanzigstel. Und anders als bei den Pferdewetten fällt auch keine Wett- oder Totalisatorsteuer an. „Es gibt offenbar eine nicht unerhebliche Gruppe von Anlegern, die mit relativ kleinen Einsätzen in die Welt der Finanzmärkte hineinschnuppern möchte“, vermutet Wolfgang Krumbein von der Uni Göttingen, Forschungsleiter der sozialwissenschaftlich orientierten Deutschen Kapitalmarktforschung. So erntete in der oben erwähnten Befragung der Satz „Derivative Märkte finde ich faszinierend“ unter den 55 zu bewertenden Aussagen die größte Zustimmung.

Die Zocker wollen das Gefühl haben, mitzumischen bei dem großen Spiel, bei dem Millionen über den Erdball verschoben werden. Sie fühlen sich als „Freizeit-Kostolanys“, frei nach dem berühmten Börsen-Guru André Kostolany. Sie suchen in den Derivaten nicht nach langfristig stabilen Erträgen; vielmehr reizt sie der Kitzel des Risikos. Sie bevorzugen Scheine, die einen nicht zu einem späteren Kauf zwingen, sondern nur die Option auf einen Kauf eröffnen (siehe Kasten). Diese Papiere drohen wertlos zu verfallen, sie sind daher billig, ermöglichen aber große Gewinne, wenn eine unerwartete Kursentwicklung eintritt. Ähnlich wie bei den Pferdewetten bevorzugen die risikofreudigen Zocker auch an der Börse die Außenseiter.

Den eher konservativ anlegenden Privaten bieten die derivative Märkte bislang kaum Investitionsmöglichkeiten. Krumbein nennt Gründe: Private mittel- und langfristig orientierte Anleger haben nicht die Zeit und besitzen auch nicht die Information, relativ kurz laufende Derivate in die Vermögensstruktur zu integrieren. Die Teilnehmer der Untersuchung glauben überwiegend nicht, daß man mit Optionen und Futures langfristig agieren könne. „Die vorhandenen Anlagemöglichkeiten“, sagt Krumbein, „etwa spezialisierte Derivate-Verwalter, werden nicht wahrgenommen.“

Trotz ihrer vorsichtigen Zurückhaltung sind die Kleinanleger nicht frei von Selbstüberschätzung. Krumbein betont, daß sich die Marktchancen bei Professionellen und Unprofessionellen deutlich unterscheiden. Das wollen aber die Privatanleger nicht wahrhaben. So lehnen die Befragten die Aussage ab, daß auf derivativen Märkten viele verlieren und nur wenige gewinnen und daß Profis auf Kosten der Normalanleger profitieren.

Betrachtet man hingegen nur die Gruppe der professionellen Anleger, ergibt sich ein realistischeres Bild. Diese sehen die Unprofessionellen im Nachteil und schätzen auch das Betrugspotential höher ein. Für Krumbein ist insbesondere die ungleiche Informationsverteilung auf derivativen Märkten von Bedeutung. Er vermutet, „daß die unprofessionellen Anleger vielmehr als nur die Gebühren zahlen“.

Auch Peter Weiser ist sich dessen bewußt: „Das muß ich in Kauf nehmen, aber auch auf der Rennbahn gibt es besser informierte Insider.“ Der jüngste Wettskandal auf der Trabrennbahn in Mariendorf, bei dem ein Trainer gezwungen wurde, sein Pferd zu zügeln, ist Beleg für diese These.

Immerhin gibt Weiser zu, bei seinen Optionsscheingeschäften bislang verloren zu haben. In der Untersuchung der Deutschen Kapitalmarktforschung behaupteten die Zocker dagegen überwiegend, Gewinner zu sein. Doch beim Optionsscheingeschäft profitieren vor allem die Banken als Verkäufer der Scheine. Ihre Extragewinne mindern die Erträge der unprofessionellen Anleger, deren durchschnittlicher Verlust pro Geschäft bei mehr als fünf Prozent liegen dürfte. Verlierer dieser neuen Art des Glücksspieles ist aber auch der Staat. Während bei den Wetten auf Pferde Wett- und Totalisatorsteuern anfallen, bleiben derivative Märkte steuerfrei.

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