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Ganz Wien träumt von Formalin

■ Nato, übernehmen Sie! (1)

Wenn wir die Nato richtig verstanden haben, darf man jetzt alles bombardieren, was einem irgendwie nicht paßt. In unserer Serie „Nato, übernehmen Sie!“ präsentieren wir Kriegsziele, die wir uns schon immer gewünscht haben.

Wer Gefallen daran hat, sich wehtun zu lassen, und zwar richtig, also mit Messern, Gabeln und Eiswürfelzangen, mit elektrischen Schraubenziehern, Kreissägen und Haushaltsmixern, mit Füllfederhaltern und Rouladenpiekern, mit Scheuerpulver, Wäscheklammern und Erlenmeyerkolben aus dem Bauhaus-S/M-Equipment, der reist am besten nach Wien. Denn Wien ist eine Dampframme ins Gesicht jedes freundlich fühlenden Menschen.

Soviel Fieses wie Wien war nie. Bereits 1980 faßte Bernd Eilert ganz Österreich in einem einzigen schönen Satz gültig zusammen: „Schade, daß man dieses kotelettförmige Land nicht in der Pfanne braten und aufessen kann.“ Der Beitrag Österreichs zur Weltkultur heißt im wesentlichen Hitler-Heller-Haider-Walzer, und dann gibt es noch das Urabbild des Österreichers: Leopold von Sacher-Masoch, nach dem die Herrentorte ebenso benannt ist wie das Versessensein auf Herrenhiebe.

Das wirklich Böse an Wien ist das Wienerische. Zwar gibt es nicht wenige Dialekte deutscher Zunge, die Verzweiflung, Sodbrennen und Suizidgelüste verursachen können: Vogtländisch etwa, Chemnitzer Sächsisch, Tübinger Schwäbisch und Stadtrandberlinisch. Das Wienerische aber, gern besonders abstoßend auch Weanerisch genannt, hat etwas von schwerer Körperverletzung. Und das mit voller Absicht.

„Geh scheyssn! Am Heyssl!“ attert es aus dem Wiener heraus, und immer schwingt etwas untergründig Drohendes mit: geducktes Knurren der geprügelten Kreatur. Diese in Servilität eingewickelte Aggression hält der Wiener für Charmanz und nennt sie Schmäh.

Wer noch stärkerer Argumente zur Ächtung dieses Landstrichs und seiner Bewohner bedarf, der höre: Männliche Österreicher haben für die Brüste von Frauen nicht nur das Wort „Duttn“ oder „Dutteln“ ausgeheckt, sondern noch eines, für das man sie in die Steinzeit zurückbomben wollte, wären sie dort nicht immer schon: „G'spaßlaberln“. Müßte es in Zeiten moralisch gespreizter Kriegführung nicht möglich sein, Schurken, in denen das Wort „G'spaßlaberln“ wohnt, in Den Haag anzuzeigen und von der Nato unter freundliches Feuer nehmen zu lassen? Noch pennt der Menschenrechtler. Aber nicht mehr lange.

Bis es soweit ist, kann man schon mal selbst etwas tun. Wie Jörg Schröder, der – so berichtet er in „Schlechtenwegen“, der 37sten Folge von „Schröder erzählt“ – in Wien „den Burgschauspieler Klaus Maria Brandauer niederschlug – na, eher niederstieß. (...) Der besoffene Brandauer pöbelte Hildegart Baumgart an: ,No, für dein Alter hast noch fesche Duttn' und langte ihr dabei an die Brust. Worauf ich reflexartig – als Ritter ohne Furcht und Tadel – dem Mimen einen Schubs vor die Brust gab. Er flog ins zusammengestellte Schanigartengestühl vor dem ,Hawelka', rappelte sich mit Hilfe seiner Frau auf und verschwand hinkend mit ihr, ohne noch mal das Maul aufgemacht zu haben.“

Der als Pornokönig geschmähte Schröder als Held in schimmernder Rüstung, unterwegs im Dienste der weiblichen Ehre – ist es nicht zu schön? Zumal Schröder gleich anschließend erzählt, wie er sich in den „Casanova“-Club trollt, dort eine finnische Hure trifft, mit der er sich die Nacht um die Ohren schläft und frühmorgens mit ihr „ins Hotel segelt“. Das ist doch mal ein Ritter der Tafelrunde und kein jämmerlicher Parzival! (Parzival war übrigens Wiener, was sonst.)

Einmal allerdings habe ich in Wien erlebt, wozu das Wienerische tatsächlich taugt: Es ist die Sprache der Hinrichtung – Nato-Sprache quasi. Im Österreichischen Rundfunk interviewte ein scheint's freundlich weanernder Mann die mehr durch ständige Medienpräsenz als durch Schauspielkunst aufgefallene deutsche Schauspielerin Veronica Ferres, die zum x-ten Mal erzählte, sie käme vom Land und hülfe, wann immer sie zu Hause sei, bei der Kartoffelernte mit – als sei das ganze Jahr Kartoffelernte, rhabarber rhabarber. Der ORF-Mann reagierte darauf mit einem Enthusiasmus, der tödlicher war, als offene Kritik es sein könnte: „Eine Kartoffel aus den Händen von Veronica Ferres!“ jubilierte er und ließ das Beil fallen: „Welcher Cineast gäbe dafür nicht seinen linken Arm!“ Das ist Wien: Sogar der Tod betuppt dich noch und tut freundlich, wenn er kommt. Ist man aber so schlicht wie Veronica Ferres, bemerkt man nicht, daß man gerade von Freund Hein mitgenommen wurde, und macht munter weiter. Und fällt damit gar nicht auf in Wien, der wächsernen Stadt, die noch mit Morbidität kokettiert, obwohl sie längst den Rigor mortis hat. Oder, frei nach den Worten eines besonders toten Wieners: Ganz Wien träumt von Formalin.

Alsdann, Nato: Gib dem Wiener, was er will. Den Tod. In der Landessprache gesagt: Komm scheyssen, Nato! Hier, in Wean, am Heyssl! Wiglaf Droste

Müßte es in diesen Zeiten nicht möglich sein, Schurken, in denen das Wort „G'spaßlaberln“ wohnt, in Den Haag anzuzeigen

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