piwik no script img

Christoph BiermannIn Fußballand

■ „Kastanien-Bäume, Holztische – ein Maß Bier. Fan-Herz, was willst du mehr

Der amerikanische Schriftsteller Richard Ford, der ein schönes Buch mit dem Titel „Der Sportreporter“ geschrieben hat, in dem es wenig um Sport und nicht eben mehr um Journalismus geht, sagt, daß er Sport liebt und albern findet. Ford interessiert am Sport besonders, was die Leute für eine Geschichte daraus machen, der Mythos also. „Mehr ist ein Mythos ja nicht: Man einigt sich darauf, wie man ein historisches Ereignis sehen will.“

Den Ausstieg der Spielvereinigung Unterhaching in die Bundesliga etwa. Der Kampf um dessen kollektive Beschreibung läuft gerade auf vollen Touren und ist noch nicht entschieden. Selbstverständlich gibt es Fakten, aber deren Bewertung ist ausgesprochen dehnbar. Die Mannschaft ist mit Spielern besetzt, von denen nur wenige bereits in der Bundesliga gespielt haben und keiner dort eine wichtige Rolle. Das Team ist defensivstark, es hat die wenigsten Gegentore in der Zweiten Liga hinnehmen müssen. Das Zuschauerinteresse vor den Toren Münchens ist gering, nur zu den Heimspielen von Absteiger Wattenscheid kamen weniger Besucher ins Stadion. In der kommenden Saison wird Unterhachings Etat nur halb so groß sein, wie der kleinste der übrigen Bundesligisten. Und wo ist jetzt der Mythos? Was wollen wir uns erzählen über Unterhaching?

Vor 13 Jahren stieg der FC Wimbledon in die höchste englische Spielklasse auf. Der Klub hatte sich zügig von der Amateurklasse durch die vier englischen Profiligen nach oben durchgearbeitet; in London, wo es bereits genug alteingesessene Klubs gab, interessierte das jedoch niemanden. Nur vier- oder fünftausend Zuschauer kamen, wenn nicht gerade einer der Großen zu Gast war, aber das Team aus dem Tennis-Stadtteil erarbeitete sich seinen Mythos. Der FC Wimbledon, das war die Crazy Gang. Ohne Respekt vor dem Fußball-Establishment kämpfte sie sich mit einfachem, hartem Fußball durch. Ihr Anführer war Verteidiger Vinnie Jones, der reihenweise Knochenbrecher-Fouls beging, mehrfach vom Platz flog und kürzlich in einem Gangsterfilm als Schauspieler debütierte.

Die Crazy Gang ließ sich auch von den großen Mythen des Fußballs nicht beeindrukken. Im Stadion an der Anfield Road in Liverpool ist über dem schmalen Durchlaß zum Spielfeld das Schild angebracht, „This is Anfield“. Hier sollen alle Gäste noch einmal daran erinnert werden, daß sie nicht einer Mannschaft, sondern einem einschüchternden Mythos auf sagenumwobenem Grund gegenüberstehen. Als die Crazy Gang nach Liverpool kam, spuckte jeder Spieler auf das Schild, dann liefen sie auf den Platz und siegten.

Doch wohin soll Lorenz-Günther Köstner spucken, der Unterhaching trainiert? Davon abgesehen, daß er viel zu anständig ist, in der Gegend herumzurotzen. An Köstner könnte man einen Mythos orientieren? Aber wie unattraktiv wäre der, schließlich sagt kaum jemand so langweilige Sachen wie er? Vielleicht paßt das zu einem Klub, für den sich kein Mensch interessiert, weil dessen Team einen gutorganisierten aber völlig langweiligen Defensivfußball spielt.

Doch halt! Vereinspräsident Engelbert Kupka hat einen Trumpf im Ärmel, der hierzulande immer sticht: Die Geschichte vom Verein, der anders ist. Also sagt Kupka: „In der Bundesliga regieren nur noch die Konzerne, da spielt Aspirin gegen eine Lebensversicherung. Viele Vereine haben ihre Seele verkauft, ich mache das nicht mit. Wir haben unsere Fernsehrechte nicht verkauft und werden das auch nicht tun. Der Verein gehört den Mitgliedern, die ein Anrecht darauf haben, daß wir unabhängig bleiben und unsere soziale Aufgabe erfüllen.“ Bravo, Herr Kupka. Und die Bild-Zeitung ist auch noch umgeschwenkt. Erst hieß es: „Ein Alptraum wird wahr“, jetzt wird gejubelt: „Kastanien-Bäume, Holztische – und dann eine Maß Bier, der Biergarten direkt am Stadion. Fan-Herz, was willst du mehr ...“ Es ist eben alles nur eine Frage der Verabredung. Und Herr Kupka sollte jetzt nur noch den Bob im Vereinswappen durch ein Piratenfähnchen ersetzen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen