: Sex, Drugs und Staatsfeinde
So nah war der Weg zum Afro-Beat noch nie: Fela Kuti sorgte in den 70ern für den Black-Music-Reimport nach Nigeria, doch der weltweite Siegeszug scheiterte am fehlenden Single-Format. Sein neueditiertes Oeuvre wird jetzt von Club-DJs entdeckt ■ Von Frank Sawatzki
Die Geschichte ist angesiedelt in den oberen Hanglagen bester Mythenproduktion. Ihrem Protagonisten schreibt man wahlweise 40, 50, 60 oder 80 LPs zu, aber auch grotesken Sexismus, messianisches Charisma, heroischen Widerstand gegen diverse Militärregimes und die Erfindung einer eigenen afrikanischen Pop-Identität. Fela Kuti, den sie König des Afro-Beat nennen, fährt zwei Jahre nach seinem Tod mit Donnerhall in den Pop-Olymp hinauf.
Was ist geschehen? Der nächste World-Music-Backlash? Die Danksagung von ein paar Electro-Großhirnen an ihren Spiritus rector? Der momentane Afro-Beat-Hype besitzt Qualitäten eines mittleren Mirakels. Die Geschichte Fela Kutis, die den upfronten Magazinen Deutschlands zwei Jahrzehnte lang keinen Penny wert war, will nun schnell ausgebrütet werden: Es geht um Sex, Drugs und Staatsfeinde. Die beste Musik der Welt kommt dabei ganz nebenbei auch noch auf den Tisch. Und wir sollen von all dem so lange nichts gewußt haben? Jetzt bringt ein in Deutschland vertretener Multi die kürzlich in Frankreich veröffentlichten zwei Box-Sets mit insgesamt 12 Kuti-LPs aus den 70ern via CD raus. Originalcover, Foto-Booklet, alles piekfein, lediglich die beigefügten Fotopostkarten von Felas bunt geschminkten Queens wirken in diesem Umfeld wie ein Griff ins Prospektregal vom Afrika-Reisebüro um die Ecke. So nah hatten wir's zu Afro-Beat noch nie.
Als Kuti, der 1938 in Abeokuta bei Lagos geboren wurde, mit seiner Band Koola Lobitos 1969 von einer USA-Tournee wieder nach Nigeria zurückkehrte, hatte er sich selbst gerade neu erfunden. Die Voraussetzungen für eine staatstragende Karriere waren zwar noch gegeben (Auslandsstudium, gehobener Rundfunkposten und im Hintergrund eine angesehene Familie – der Vater ein bekannter Komponist und Prediger, die Mutter eine antikoloniale Kämpferin, Feministin und Lenin-Friedenspreisträgerin); doch Kutis politische Initiation made in the USA war unumkehrbar. In der Forderung einer afroamerikanischen Kultur blühte sein Ego zu unüberhörbarer Größe auf. Er katapultierte sich in die Rolle des streetsmarten Predigers, der mit dem politischen Background der Black Panthers die soziale Situation in seiner Heimat Nigeria sezierte. Knapp zehn Jahre nach der Unabhängigkeit war ein Großteil der Bevölkerung der Willkür von Militärs ausgesetzt. Instabile, korrupte Regierungen verwalteten ein System zunehmender Armut.
Seine New-York- und L. A.-Besuche nutzte Kuti zum Black-Music-Reimport in den Mutterschoß der Popkultur: Beeindruckt vom scharfkantigen Soul Sly Stones und James Browns modifizierte er den musikalischen Duktus seiner neuen Band Africa 70. Aus dem leichtgewichtigen Highlife-Jazz entwickelte sich jene strenge Form des bigbandigen Afro-Beat mit massiven Bläsersätzen und funky Bass-Riffs, auf deren Boden Felas Befreiungs-Lyrics zur vollen Entfaltung gelangten. „The secret of life is to have no fear!“
Endlosschleifen als Vorlage für Elektro-DJs
Die Kommune Kalakuta, die der Bandchef Mitte der 70er Jahre vor den Toren Lagos' für seine Freunde und die 27 Frauen, die er später heiratete, einrichtete, stellte eine Provokation für alle Militärregimes dar: ein freier Staat im Unrechtsstaat Nigeria. Kalakuta wurde 1977 in einer Terroraktion der Regierung Obasanjo niedergebrannt, Kuti schwer verwundet, Freunde gefoltert, seine 77jährige Mutter aus dem Fenster geworfen und so schwer verletzt, daß sie Wochen später starb. Kuti suchte Exil in Ghana und kehrte Ende der 70er mit hochpolitischen Ambitionen in ein zivil regiertes Nigeria zurück. Nach seiner gescheiterten Präsidentschaftskandidatur Anfang der 80er, die in der Forderung nach einem Polizeistaat für alle gipfelte (wenn alle Nigerianer Polizisten seien, so Kuti, könne einer den anderen nicht mehr grundlos schlagen), rief Fela das Zeitalter der Kontemplation aus und verbarrikadierte sich in Kalakuta. Zweimal in der Woche nur verließ er das Haus, um im eigenen Club Konzerte zu geben. Der Mythos im Holzschnittformat: König Fela begibt sich zur Speisung der Armen, auf der Bühne des „Shrine“ standen bereits die Käfige, in denen die Frauen tanzen würden.
In dem notdürftig überdachten Schuppen rockte Kuti die Crowd bis zur Ohnmacht. Auf der Bühne agierten bisweilen über 30 Instrumentalisten, Sängerinnen und Tänzerinnen, die aufs Publikum wie das wahrhaftige Elysium wirken mußten, in dessen Verfassung Sex und Marihuana für alle bereits verankert worden waren. Nähere Informationen konnte man Kutis Schallplatten entnehmen. Das Backcover der 75er LP „Expensive Shit“ zeigt Fela in einer Pose, die sowohl als Provokation zu lesen ist als auch chauvinistischste Vorstellungen vom wilden schwarzen Mann und seinem so gefährlichen Eros zu bedienen weiß. Fela zieht cool an einem Glimmstengel, dessen Zutaten auf der Vorderseite des Albums kommentiert werden.
Die Auftritte Kutis mit seiner Band Africa 70 nahmen den Set-Charakter vieler House- und Elektronik-DJs vorweg. Fela und die Rhythmus-Abteilung (Shekere, Sticks, Maracas, Congas und Schlagzeug) produzierten um Beats und Keyboardvariationen gewickelte Endlosschleifen. Kutis Beitrag zu einer einfacheren Grammatik des E-Piano-Spiels wird am deutlichsten auf den beiden LPs „Alagbon Close“ (74) und „Kalakuta Show“ (76). Die minimal variierenden Schwell- und Gluckerklänge, die eine Idee gnadenlos umspielen und von den Beats mit schöner Regelmäßigkeit wieder eingefangen werden, verweisen auf Frühsiebziger-Tracks von Kraftwerk. David Toop hat schon daran erinnert, daß die rhythmische Finesse schwarzer Tanzmusik von Kraftwerk erstmals mit elektronischen Mitteln nachgestellt worden war.
Fela Kuti ist lange in Besitz von Ethno-Workshops, Franzosen und Schweizern gewesen. Heute erntet man in Spezialisten-Plattenläden in Zürich nur Kopfschütteln beim Hinweis auf die Wiederentdeckung von Fela Kuti: Das Afro-Jazz-Sortiment ist traditionell groß, der Shoplifter bestellt seit Jahren, was er von Kuti ergattern kann. Mit einem Lächeln wird hier die aktuelle Remix- und Revival-Hysterie quittiert, in der die üblichen Verdächtigen (Gilles Peterson, Masters At Work) und ein paar Pariser gerade die Pole Positions einnehmen. Britische Labels kümmern sich um die Hebung rarer 70er-Jahre-Jazzschätze aus Afrika, Kutis Sohn Femi tourt mit einer Light-Version von Afro-Beat durch die Welt, und Tony Allen, der alles entscheidende Rhythmiker (und zeitweilige Bandleader) in Kutis außerordentlicher Jazz-Funk-Agglomeration, kommt wie bestellt mit seinem neuen, von Doctor L produzierten Album „Black Voices“, um Gegenwart und Vergangenheit im Beat zu verschränken.
Sexy Erlöserpathos und Hardcore-Sexismus
Daß Kutis Afro-Beat trotz mehrerer Millionen verkaufter Alben, trotz hypetauglicher Kollaborationen mit Ginger Baker und Roy Ayers lange Zeit keinen weltweiten Siegeszug antreten konnte, mag letztlich daran gelegen haben, daß seine Tracks eine Vereinnahmung durch die gerade gültigen Popformate einfach nicht duldeten. Bob Marley, der andere charismatische Prophet einer „Back to Africa“-Bewegung, hatte wahrscheinlich das „Glück“, seine Ganja-induzierten Offenbarungen in handelsüblicher Single-Länge äußern zu können. Auf einem Kuti-Longplayer dagegen befinden sich nur zwei, höchstens drei Stücke, manchmal bis zu 20 Minuten lange polyrhythmisch organisierte Rauscherlebnisse, die sich auch schon mal die Freiheit nehmen, nicht auf einen Höhepunkt zuzulaufen. Die immerhin hitverdächtigen Call- und Response-Gesänge, sie setzen oft erst im letzten Drittel eines Stükkes ein. Und Kuti gab sich mit seinen Soli (Alt- und Sopran-Sax, Keyboards) erst gar nicht die Mühe, instrumentale Fertigkeiten flächendeckend auszustellen. Jazz-Mucker spielten anders. Hier arbeitete ein Orchester hochdiszipliniert an der Transzendierung von Jazz, Funk und Beat, jeder einzelne Musiker im Dienst am großen Ganzen. In der Auslegung des Kollektivgedankens ist Africa 70 mit Sun Ras Arkestra, das immer auch Züge einer Armee oder eines geistlichen Ordens aufwies, vergleichbar: die Band als hermetischer Zirkel mit strenger Hausordnung (wobei die Regeln sich radikal unterschieden: Bei Sun Ra waren Alkohol, Drogen und Frauen in der Band verboten).
Wie Sun Ra und John Coltrane dokumentierte Kuti sein work in progress auf überdurchschnittlich vielen Alben. „Die Musik ist der schnellste Generator, sie ist das schnellste Kommunikationssystem, das sich zur Übermittlung einer Botschaft benutzen läßt. In der Tradition haben die Leute auch immer auf den Trommler gehört“, sagte Fela einmal. Auf Auseinandersetzungen mit Polizei und Militär reagierte Kuti im Tempo einer Monatszeitung, jeweils mit monothematischer LP.
Der Wirkkreis von Kuti und seiner Band blieb geographisch und szenebedingt begrenzt. Im Auftrieb der Real-World-, One –World- und Come-Together-Kampagnen wäre Africa 70 ohnehin eine Fehlbesetzung gewesen. Fela agierte stets als star in his own right, er trug den Glamour eines messianischen Erweckers zur Schau: sexy Erlöserpathos für die unteren Millionen. Das war nicht gerade der Stoff, aus dem die Ethno-Hypes der westlichen Schallplattenindustrie gemacht waren. Kuti konnte sich der Trivialisierung zum sozialromantischen Dritte-Welt-Troubadour auch deshalb entziehen, weil die über seine Alben verstreuten Informationen sich auf ein Underground-System bezogen, dessen Lesbarkeit genügend sprachliche Barrieren in den Weg gestellt waren. Die antiimperialistischen und von patriarchalen Prahlereien vollen Lyrics sind in der Sprache der Yoruba, in Pidgin- und Standard-Englisch verfaßt. Und Kuti switchte in fliegendem Wechsel von Code zu Code.
Die Rolle der afrikanischen Frau pries Kuti in minutenlangen, repetitiven Spoken-word-Runden: „She know the man na master / she go cook for am / she go do anything he say“ (“Lady“). Die Wiederbesetzung traditioneller afrikanischer Werte gereichte Kuti zur Rechtfertigung, Frauen als verfügbare Ware zu betrachten. 1986 revidierte er zwar seinen extravaganten Hardcore-Sexismus in einer überfälligen Verlautbarung (“No man has the right to own a woman's vagina“), doch den Ruf eines nicht eben kleinen Arschlochs wurde er nicht mehr los. Der britische Regisseur Jeremy Marre, der seit den 70ern Filme über Musik in der Dritten Welt machte, stellte die politische Glaubwürdigkeit Kutis generell in Frage: „Sogar für ein Interview verlangt er horrende Honorare. Und schau ihn dir doch mal an mit seinen 27 Frauen, die er schlägt und, wenn sie sich danebenbenehmen und nicht das tun, was er von ihnen verlangt, in einen Blechschuppen einsperrt. Und dann bewundern ihn manche Leute als ultraprogressiven politischen Menschen.“
Fakt ist, Kuti wurde nicht müde, die Politik von neokonservativen Regierungen (“Beasts Of No Nation“) und multinationalen Konzernen (I. T. T.) zu attackieren, er lästerte über die „Colonial Mentality“ seiner Landsleute, die westlichen Vorbildern folgten, stellte Korruption und gewalttätige Übergriffe der nigerianischen Militärs immer wieder bloß. Und er entlieh, wie die Rapper später, dem allgemeinen Metaphernschatz jene Wendungen, die das System der Exploitation in dem Moment symbolisch aufhoben, in dem sie es selber anwandten, verdoppelten und also verlachten. Felas Blackism stand, so heroisierend das Artwork auch bisweilen geriet, für eine panafrikanisch-demokratische Kultur, deren allererstes Ziel die Bekämpfung der gerade aktuellen Diktatur war.
Terror und Einschüchterung hielten in Nigeria auch in den 80ern und 90ern an. 1984 verurteilte man Kuti nach einer dubiosen Anklage (Schmuggel!) zu fünf Jahren Gefängnis. Auch nach seiner vorzeitigen Entlassung wurden Konzerte verboten, der Künstler wegen Drogenbesitzes, Verschwörung und Anstiftung zum Mord angeklagt, sein Haus überfallen. Kuti gab nicht auf. Seine Musik diene der Revolution, nicht der Unterhaltung, ließ er gerade sein europäisches Publikum immer wieder wissen. Der Beiname Anikulapo, den Fela sich 1975 zugelegt hatte, wirkte 20 Jahre lang wie eine Kampfansage an die Todesschwadronen der diversen Militärregimes: „Er, der Kontrolle über den Tod hat“. Vor knapp zwei Jahren starb Fela Kuti an den Folgen von Aids. Der Sarg wurde 20 Meilen durch Lagos getragen, eine Band spielte seine Songs ohne Unterbrechung. Begraben wurde Kuti am 12. August 1997 vor Kalakuta.
Daß Afro-Jazz die Musik der Zukunft ist, hatte schon Miles Davis, Kutis erklärtes Vorbild, gesagt. „Es ist eine afrikanische Musik, die in alle Ohren paßt“, meinte Felas Sohn Femi jüngst im Interview in der Spex. Bald wissen wir mehr. Einer der größten Back-Kataloge der Popgeschichte muß erst noch aufgeblättert werden. Die Revolution kann warten.
Fela Kuti: 12-LP-Box oder 10-CD-Box (Universal Jazz))
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