: Proletenkunst macht geil
■ Beziehungserhaltend: Die „Pension Schmidt“ geht mit Volldampf in die 355. Runde
Schlechte Laune? Müde? Gereizt? Paula und Bert – ihre Namen sind von der Redaktion geändert – haben dagegen ein probates Mittel: Sie besuchen mehrmals jede Folge der Pension Schmidt. Doch die ist in Gefahr: In Folge 355 droht dem lauschigen Heim für ausgesetzte Homosexuelle durch eine Hotelinspektion das Aus; die böse Tante Hedwig sorgt dafür. Paula und Bert zittern mit: Das Fernseh-Prinzip der Soap klappt, aufs Theater übertragen, so vorzüglich wie anzüglich.
Kommt also die Rettung? Und wie kommt sie? Sie kommt „echt geil“, um beim Proletenjargon der Kiezserie vom Spielbudenplatz zu bleiben. Tunten, Transvestiten, tolle Gäste: Schon das Warm-up ist beim Kasperle-Theater für Erwachsene vergnüglich. „Hach, ich bin auf Trennkost!“ tuckert es, „ich trenne Fest- und Flüssigkost“, das Sektglas hebt sich wie von selbst. Schon kommt der nächste, besser: die nächste. „Ich bin die Oliv, ich mache nachher auf der Bühne ,loa', seid ihr bitte so lieb und reißt dann alle die Arme hoch? So etwa? Supi!“ Auch die böse Hedwig traut sich ins Parkett – mit Pelz und Klimperjuwelen ganz stilechte Witwe von St. Pauli. Vorzeigetranse Gerda (Corny Littmann) braucht ein paar Takte Trauermarsch zum Glücklichsein, wir üben, als wollten wir uns bei den Fischer-Chören bewerben. Und schmettern auch die Titelmelodie. Zum Mitklatschen. Bis das Licht ausgeht.
Auf der Bühne: wie immer das Pensionsfoyer. Paula und Bert registrieren begierig jede Veränderung. „Wegen Trauerfall geschlossen“, besagt ein Schild. Stirbt auch im Varieté die Rolle, wenn ein Darsteller seinen Vertrag nicht verlängert? Nein, Nadine wurde aus künstlerischen Gründen zum Tode verurteilt; die Komödianten spielen ohnehin jeder zig Rollen. Da ist alles dabei: Pointen am laufenden Meter, abgebrühte Portiers, Songs für jeden Geschmack, russische Dick und Doofs, improvisierter Slapstick, Dumm-Luden, Bravourstückchen, kurz: „Mutterkuchen für alle“.
Auch für Drag Kings. Kerstin Marie Mäkelburg brilliert als Managerin, Radiofrau, Russin und als Vater gewordener Zuhälter. Dessen Nachwuchs kräht quer durchs Stück, ein Schlagerfuzzi mit, die Hafenstraße wird beschworen, auch Bürgermeister Ortwins Seehundbärtchen. Hier wird „Onanist“ statt „Organist“ gesagt, hier ist der Suff ein running gag, hier kennt man die Wanzen in den Pensionsbetten noch mit Namen. Wieso der Labskaus der „Heulboje Gottes“ Erdmute (Uli Pleßmann) gegen Hedwigs Hetze hilft, wieso dennoch die Abrißbirne vorm Haus steht, wieso ohne Peinlichkeit Scheiße durch die Luft wirbelt und das Ordnungsamt am Ende ein Freund ist, wird nicht vorgesagt. Wohl aber, daß die Pension uns und Paula und Bert in all ihrer Schmuddelpracht erhalten bleibt, die Hotelinspektion noch bis zum 3. Juli, die nächste Folge aber erst im Winter läuft.
Zum Glück bestätigen Paula und Bert, daß mehrfaches Angucken lohnt: Wessen Herz nicht aus Stein ist, lacht auch beim dritten Mal noch Tränen. Die Ehe von Paula und Bert mag Sitcom-reif sein – dank der Pension Schmidt läuft sie und läuft und läuft ...
Gisela Sonnenburg
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