Antreten zum Heiligen Appell

Erst eins, dann zwei, dann drei, dann vier, dann standen die Kindlein vor der Tür. Und zwar der Größe nach sortiert, so war das damals. Antreten zum Weihnachtsappell vor der verschlossenen Wohnzimmertür. Zuerst die jüngere der beiden Schwestern, dahinter der jüngere Bruder, dahinter die ältere der beiden Schwestern, dahinter unsereiner. Und dahinter, unsere aufgeregte Schar wie ein Hirtenhund hütend, stand der Großvater und sorgte für Ruhe im Karton.

So warteten wir, uns vor Aufregung gegenseitig an der Kleidung zupfend, bis hinter der noch verschlossenen Tür die garantiert nur an Weihnachten aufzulegende Schallplatte mit Heintjes Weihnachtsliedern erscholl. Das war das Signal. Darauf öffnete sich die Tür und gab erst den Blick auf die gerührte Mutter frei, dann auf den geschmückten Weihnachtsbaum und zuletzt – kaum zu erwarten! – auf die gehäuften Geschenke. So war das, und so war das lange.

Bis der jüngere Bruder berechtigte Ansprüche erhob, der letzte in der Reihe zu sein. Schließlich hatte er unsereinen an Größe längst um einen halben Kopf überflügelt. Wir aber, nicht dumm, ersparten uns die Schmach und erklärten schlicht die ganze Aktion für „doof“: Der Größe nach in einer Reihe stehen, das sei etwas für Babys.

Wenn uns unsere Erinnerung nicht täuscht, war dies auch genau der Zeitpunkt, an dem der Heilige Abend insgesamt an Glanz verlor. Denn vier vor Erwartung fiebrige Kinderaugenpaare stecken sich gegenseitig an. Wenn aber nur noch die Augen der Kleinsten glänzen, die Brüder aber sich in Rangkämpfen üben und die ältere der beiden Schwestern nach Eintritt in die Pubertät Besseres zu tun zu haben meint, dann fällt das Klima, das ein Familienfest mit Staunen und Wärme und Erwartung füllt, in sich zusammen wie Schlagsahne.

Es fiel zusammen. So ist das eben, und so ist das bis heute: Weihnachten – das Familienspiel. Aber ist das wirklich ein Grund, nicht der fiebrigen Erwartung an letzter Stelle der kleinen Kinderschlange hinterherzutrauern . . .? Auch wenn man inzwischen, die Zeit der Abwehr hinter sich gelassen habend und selbst die Vorbereitungen zur Bescherung treffend, auf der anderen Seite der Wohnzimmertür steht . . . Draußen wartet dieses Jahr zum erstenmal ein noch unverständiges, aber schon glänzendes Babyaugenpaar. Dirk Knipphals