: Solide, seriös, benutzbar
■ Die Hamburger Architekten von Gerkan, Marg und Partner feiern den 30. Bürogeburtstag mit Monografien und vollen Auftragsbüchern
In Berlin, auf Europas größter Baustelle, steht eine riesige rote Box auf Stelzen in der eine kleinere gläserne Box aufgehoben ist, in welcher man ein Modell des zukünftigen Lehrter Bahnhofs sehen kann. Hier, im Besucherzentrum Potsdamer Platz, wo ansonsten mit vielen Gimmicks und Computer-animationen Baustellen- und Weltarchitektursimulation betrieben wird, liegt das altertümlich wirkende Modell des neuen Hauptbahnhofes trotz effektvoller Beleuchtung wie ein Stück Strandgut, angeschwemmt am Treppenaufgang. Im großen Brimborium um Reichstagsumbau, Potsdamer-Platz-Bebauung, Architektenstreit und Hochhausdiskus-sionen findet die Bahnhofsfrage höchstens Beachtung, wenn es um die ökologischen und ökonomischen Folgeschäden der neuen unterirdischen Trassenführung am Rande des Tiergartens geht. Der architektonische Entwurf selbst wird eher beiläufig registriert, gelegentlich unaufgeregt kritisiert und ansonsten als praktikable Lösung einfach wie eine Notwendigkeit behandelt.
Der Entwurf dieses riesigen neuen Berliner Verkehrsknoten-punktes stammt aus dem Hamburger Büro von Gerkan, Marg und Partner (gmp) und schließt einen Kreis zu den Anfängen des Büros vor dreißig Jahren. Denn damals gelang den beiden Gründern Volkwin Marg und Meinhard von Gerkan mit dem Wettbewerbssieg für den Tegeler Flughafen in Berlin ein Kaltstart, wie man ihn sich grandioser kaum wünschen kann. Seitdem hat das Büro, von dem der Verlag ihrer gerade erschienenen Werkberichte, Birkhäuser, behauptet, sie seien das „erfolgreichste deutsche Architekturbüro“, eine unspektakuläre, aber projektreiche Reise zum Superbüro für alle Aufgaben erlebt.
Die Projektliste dieser dreißig Jahre umfaßt 547 Entwürfe, von denen 121 bis heute realisiert wurden, darunter einige wohlbekannte Großprojekte: der neue Stuttgarter Passagierterminal, das Europäische Patentamt in München, die Musik- und Kongreßhalle Lübeck oder die Bielefelder Stadthalle, dazu ganz vereinzelt Projekte im Ausland wie das Sheraton-Hotel in Ankara. Das Gros ihrer realisierten Entwürfe aber findet man in und um ihre Heimatstadt Hamburg und das in einem Maße, daß sich vor einigen Jahren das geflügelte Wort von der Vongerkanmargisierung Hamburgs bildete. Von der Hauptverwaltung der Shell AG 1974 bis zu den diversen Bauten auf dem Hamburger Flughafen in den letzten Jahren (Jumbohalle, Passagierterminal, Parkhaus usf.) zeigt ihre Werkschau eine Produktivität, die tatsächlich stadtbildprägend wurde. Insbesondere in der Innenstadt, wo gmp für viele der zentralen Neubauten verantwortlich sind (Zürich-Haus, Steigenberger, Hypo-Bank, Deutsch-Japanisches-Handelszentrum u.a.), ist der negative Terminus verständlich, der die Dominanz eines Büros in einer Stadt kritisiert.
Mit den Aufträgen für den Lehrter Bahnhof, die neue Leipziger Messe, die Verlegung des Stuttgarter Bahnhofs unter die Erde, den Flughafen Algier, Bahnhöfe für München, Berlin-Charlottenburg und -Spandau, die Dresdner Bank am Pariser Platz und die Berliner Dorotheenblöcke sind in den letzten Jahren hochdotierte Aufträge in Hülle und Fülle meist bei Wettbewerben gewonnen worden, die dem Büro seine Ausnahmestellung einbrachten und das hanseatische Stigma ein wenig verdecken.
Dennoch verwundert es nicht, daß im Gegensatz zu den wenigen deutschen Architektur-Stars wie Hans Kollhoff, Oswald Mathias Ungers, Thomas Herzog oder Josef Paul Kleihues, kaum jemand außerhalb Hamburgs gmp kennt, der sich nicht wirklich für Architektur interessiert. Denn die deutsche Tugendhaftigkeit des Büros, die überaus vernünftig auf funktionale Lösungen und unaufdringliche, gescheite Gestaltung achtet, verhindert es, daß man ihrer Arbeit wirkliche Begeisterung oder Ablehnung entgegenbringt. Ihr Beharren auf dem deutlichen Vorrang der praktischen Seite ihrer Architektur vor dem künstlerischen Ausdruck – eine Haltung die bis zu denunziatorischen Bemerkungen über die sogenannten „Künstlerarchitekten“ reicht –, verbietet es dem Büro, Poesie, Vision oder Humor in ihre Arbeiten zu integrieren.
Was gmp anfaßt wird trocken, solide, seriös und benutzbar. Das ist – außer, wenn es in einer Ballung wie in Hamburg auftritt – überhaupt nicht negativ gemeint, denn die Zurückhaltung der Entwürfe des Büros unterschieden sich qualitativ doch immer deutlich von durchschnittlicheroder schlechter Architektur. Aber um ein Gebäude zu lieben, um Stolz oder Freude beim Anblick einer gelungenen Konstruktion oder Fassade entwickeln zu können, braucht es eben jene künstlerische Fiebrigkeit, die den beiden hanseatischen Entwerfern so gründlich abgeht.
Man muß sich im Vergleich zum Lehrter Bahnhof nur mal betrachten, was in den letzten Jahren in Europa an außergewöhnlichen Bahnhöfen gebaut wurde, die zu ihrer Funktionstüchtigkeit eben auch eine ergreifende Form realisierten, um den Entwurf von gmp in seiner aufwendigen Gediegenheit neu zu sehen: Nicholas Grimshaws detailreiche, gehäutete Raupe am Waterloo-Bahnhof für die Kanaltunnelzüge oder Santiago Calatravas fliegende Halle für den TGV in Lyon versetzen den Betrachter in eine freudige Erregung, nach der Architektur gerade an solch exponierten Stellen schreit. Doch selbst dort, wo gmp einmal symbolisch werden, wie beim Stuttgarter Passagierterminal, der mit seinen baumartigen Stützen und der schanzenartigen Gesamtform noch die Assoziation eines heiligen Hains des Flugverkehrs zuläßt, ist die gesamte Ausführung bewußt ohne Jubel und Charme.
So gesehen ist die oft von Meinhard von Gerkan geäußerte Verwunderung darüber, daß deutsche Architekten beinahe nichts im Ausland bauen, wogegen ausländische Stararchitekten überall in Deutschland Projekte realisieren, eigentlich nicht verständlich. Denn fremde Kompetenz ruft man nur, wo man es selber nicht kann. Und das, was deutsche Architekten wie Meinhard von Gerkan und Volkwin Marg sich ausdenken, ist mit seiner künstlerischen Unterernährung nun wahrlich nichts, was ein qualifizierter Architekt in der sonstigen Welt nicht auch könnte. Ohne Kunst, keine Gunst.
Till Briegleb
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