: Wer weniger Verkehr will, muß planen
Der völlige Kollaps droht auch auf Hamburgs Straßen: Eine Tagung über die Zukunft des Verkehrs in Metropole und Umland mit Zukunftsrat und Club of Rome ■ Von Gernot Knödler
Der Verkehrsentwicklungsplan, den die Baubehörde demnächst in den politischen Ring werfen wird, ist Makulatur. Diesen Schluß legten die Stellungnahmen des Verkehrsforschers Eckhard Kutter auf dem Workshop „Mobilität und Nachhaltigkeit“ des Zukunftsrates Hamburg und der Deutschen Gesellschaft Club of Rome am Wochenende nahe. Zwar sei im Verkehrsentwicklungsplan, dessen Enstehung Kutter im Beirat begleitete, „zehnmal soviel Substanz“ wie in den Vorschlägen der Handelskammer, sagte der Professor der TU Harburg. Aber zum einen ende er an der Stadtgrenze Hamburgs, so daß der enorme Verkehr im Umland unberücksichtigt bleibe. Zum anderen hebe er stark auf eine Benzinpreiserhöhung ab, auf die der Stadtstaat so gut wie keinen Einfluß hat.
Gerade um auf lokaler Ebene zur Lösung globaler Probleme beizutragen, hatten der Club of Rome und der Zukunftsrat ins Haus Rissen eingeladen. Der Club ist in den 70er Jahren mit dem Bericht „Grenzen des Wachstums“ bekannt geworden. Der Zukunftsrat versucht, aus der Gesellschaft heraus einen Anstoß für eine „Lokale Agenda 21“ zu geben, wie sie auf der 1992er Umweltkonferenz in Rio de Janeiro für alle Städte und Gemeinden verlangt worden ist. Jede Kommune soll ein Programm für eine nachhaltige Entwicklung erarbeiten – eine Entwicklung, die im 21. Jahrhundert durchgehalten werden kann, ohne daß das Ökosystem, die Wirtschaft oder die Gesellschaft zusammenbricht.
Kutter machte klar, daß es sich beim Verkehr um ein zentrales Problem handelt: Während bei den privaten Haushalten und der Industrie sinkende Energieverbräuche prognostiziert werden, erwarten viele Fachleute beim Verkehr das Gegenteil. Hauptproblem sei der PKW-Verkehr, der sich in einem Teufelskreis selbst vermehre: Viele Autos machen das Leben in der Stadt unangenehm. Die Leute ziehen ins Umland, um von dort aus zur Arbeit, zum Einkaufen und zum Vergnügen in die City zu rauschen. Als Folge ziehen noch mehr Leute raus.
Hinzu komme, daß immer mehr Menschen innerhalb des Umlandes pendeln – von Ahrensburg nach Norderstedt zum Beispiel – und kaum eine Möglichkeit haben, mit öffentlichen Verkehrsmitteln voranzukommen. Und es komme der Freizeitverkehr hinzu, der nicht in großen Strömen, sondern in vielen Tausend kleinen Bächen mäandert. Alle wollen zu anderen Zeiten anderswo hin – mit öffentlichen Verkehrsmitteln läßt sich das kaum kanalisieren. Das Achsenkonzept mit seinen Zentren und Unterzentren, das er zu Studienzeiten einmal so bewundert habe, werde dadurch zunehmend obsolet, sagte Kutter. „Es droht totale Entropie“, sorgte sich der Professor – der Kollaps des Systems.
Was tun? Die Region Hamburg so planen, daß der Autoverkehr im und vom Umland abnimmt – darin bestand Einigkeit zwischen Kutter und dem Kybernetiker Frederic Vester, der versuchte, den Workshop mit vernetztem Denken zu befruchten: Einkaufszentren nur noch mit S-Bahn-Anschluß, attraktive Wohnquartiere in der Stadt, Ende des ruinösen Standortwettbewerbs zwischen Hamburg und seinen Nachbargemeinden.
Die öffentlichen Verkehrsmittel müßten moderner, attraktiver und besser vernetzt werden. Einen Weg weist die Zusammenarbeit des HVV mit StattAuto. Wegen der verbilligten HVV-Tickets hätten ihre Kunden sieben Prozent weniger Auto-Kilometer zurückgelegt als vorher, sagte Maike Reese vom Car-Sharing-Unternehmen.
Eine Absage erteilten Vester und Kutter der Telematik, der Verkehrslenkung per Computer, auf die in Hamburg große Hoffnung gesetzt wird. „Bringt nichts“, urteilte Vester; „wird kommen, so sicher wie das Amen in der Kirche“, tippte Kutter. „Da stecken so massive wirtschaftliche Interessen dahinter – wir können das nicht mehr verhindern“, so der TU-Prof.
Die Vertreter des ADAC und der Handelskammer vertraten nicht nur an dieser Stelle andere Positionen. Unter dem Druck der weltweiten Agenda 21 verhedderten sie sich zum Teil in eklatante Widersprüche: „Die Nachhaltigkeit ist für uns natürlich ein ganz wichtiges Kriterium“, sagte etwa Reinhard Wolf von der Handelskammer, um anschließend zu fordern: „Es muß alles getan werden, um die Akzeptanz des Verkehrs zu erhöhen.“
Thomas Krause vom ADAC rettete schließlich nur die freundliche Umsicht des Gastgebers Uwe Möller von der Deutschen Gesellschaft Club of Rome. Mit seinen rudimentären Vorstellungen zur Verringerung des Autoverkehrs wurde Krause ebensowenig wie sein Lobbyistenkollege Wolf auf die Verpflichtung zum nachhaltigen Handeln festgenagelt. „Man kann vom ADAC nicht aktive Verkehrsvermeidungspolitik verlangen“, sagte der freundliche Gastgeber.
Am 7. Juli veranstaltet der VCD in der Esplanade 15 eine Tagung zum Thema „Neue Arbeitsplätze durch umweltverträglichen Verkehr“. Telefon: 040/ 2482-3160, Fax: -3165.
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