: Erst die Flüchtlinge über den Winter bringen
Geld für den Wiederaufbau von Industrieanlagen und Infrastruktur wird es so schnell nicht geben: Die G-7-Finanzminister wollen Klarheit über die Kosten. EU schickt Experten in das Kosovo ■ Von Thorsten Denkler
Berlin (taz) – Es geht es um viel Geld: Der Wiederaufbau des Kosovo und die Wirtschaftshilfe für die Nachbarstaaten wird nach EU-Schätzungen 35 Milliarden Mark kosten. Doch wer sie bezahlen soll, ist weiter offen: Am Samstag trafen sich die Finanzminister der G-7-Staaten in Frankfurt, um den G-7-Gipfel in Köln Ende der Woche vorzubereiten. Doch konkrete Angaben über die Lasten des Wiederaufbaus wurden nicht präsentiert.
Seine sechs Kollegen hatten schon zusammengepackt, als Bundesfinanzminister Hans Eichel (SPD) vor die Presse trat. Erste wirklich genaue und verläßliche Schätzungen über die Kosten des Wiederaufbaus seien frühestens im Spätherbst zu bekommen. Mit größeren Finanzspritzen für das Kosovo wollen die G-7-Minister deshalb noch warten.
Nur eines scheint sicher: Die führende Rolle beim Wiederaufbau wird die Europäische Union übernehmen. Der zuständige EU-Wirtschaftskommissar Yves-Thibault de Silguy will dabei eng mit der Weltbank und dem Internationalen Währungsfonds (IWF) zusammenarbeiten. So schnell wie möglich sollen Experten in das Kosovo geschickt werden. Ihr Auftrag: die entstandenen Schäden analysieren, Kostenpläne aufstellen und erste Aufbau-Projekte auf den Weg bringen. De Silguy geht momentan noch von Kosten von 35 Milliarden Mark für die Wiederherstellung der Zerstörungen auf dem gesamten Balkan aus. Und EU-Diplomaten schätzen, daß 5,6 Milliarden Mark allein für das Kosovo benötigt würden.
Die indirekt durch den Krieg betroffenen Anrainer-Staaten Albanien, Bosnien-Herzegowina, Kroatien, Bulgarien, Makedonien und Rumänien benötigen nach Schätzungen des IWF, der Weltbank und des UN-Flüchtlingshilfwerkes noch in diesem Jahr Finanzhilfen zwischen 800 Millionen und 1,8 Milliarden US-Dollar. Damit könne der durch den Krieg entstandene volkswirtschaftliche Schaden zumindest für das laufende Jahr ausgeglichen werden.
Geld soll es auch für Jugoslawien geben. Aber einem „angeklagten Kriegsverbrecher“ will US-Präsident Bill Clinten keine Millionen in den Rachen stecken. Auch Bundeskanzler Gerhard Schröder kann sich eine Zusammenarbeit mit Miloevic nur schwer vorstellen: Er wünscht sich dessen baldige Ablösung.
Bevor Gelder in den Aufbau der zerstörten Infrastruktur und Industrieanlagen gesteckt werden, will Hans Eichel „die Flüchtlinge über den Winter bringen“. Mehrere hundert Millionen Mark müßten dafür bereitgestellt werden, kündigte Eichel an. Trotz knapper Kassen schloß er Steuerhöhungen zur Finanzierung der humanitären Hilfe aus. Für die nationalen Haushalte seien die Mehrbelastungen kein Problem. Insgesamt rechnet die Bundesregierung für den Bundeshaushalt 1999 mit zusätzlichen Kosten von rund 1,3 Milliarden Mark. Davon sind für humanitäre Hilfen 235 Millionen Mark veranschlagt. Den Löwenanteil daran machen die Kosten für die Stationierung der 8.500 deutschen Soldaten auf dem Balkan aus.
Adolf Roth (CDU), Vorsitzender des Bundestagshaushaltsausschusses, warnt die Regierung, in Sachen Balkan-Hilfe die „Spendierhosen“ anzuziehen: „Wir können nicht als erste und am meisten zahlen.“ Damit würden alle Bemühungen zunichte gemacht, der Neuverschuldung ohne Steuererhöhungen entgegenzuwirken.
Noch ist unklar, wie die Kosten verteilt werden. Für Eichel muß eine „Vielzahl von Institutionen und Staaten“ einen Beitrag zum Wiederaufbau leisten. Clinton hat schon vorab klargemacht, er sehe die finanzielle Hauptlast bei der Europäischen Union. Die könne schließlich an dem Wiederaufbau bares Geld verdienen.
Das hat auch Eberhard Diepgen (CDU) erkannt. Der Regierende Bürgermeister von Berlin will die zu erwartenden Millionen-Aufträge in die Hauptstadt holen und damit 5.000 Jobs sichern. Laut Eichel können deutsche Firmen darauf spekulieren, vor allem bei Großprojekten wie dem Wiederaufbau von Kraftwerken und zerstörten Brücken berücksichtigt zu werden. Um die abgebrannten Dörfer und zerbombten Straßen aber müßten sich die Menschen vor Ort kümmern.
Die deutsche Bevölkerung sieht die Beteiligung am Wiederaufbau skeptisch. Nach einer Umfrage des Meinungsforschungsinstitutes dimap sprachen sich 83 Prozent der Deutschen gegen einen „besonders großen Beitrag“ Deutschlands an den Wiederaufbaukosten aus. Und spenden wollen die meisten auch nicht mehr. Nach einer polis-Umfrage wollen 67 Prozent für den Wiederaufbau keine müde Mark hergeben.
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