:
■ EU-Wahlparty: Beim Sekt sieht der SPDler lila Kühe mit Gewichtszuwachs
Brüssel ist nicht Bonn, nicht Athen, nicht Kopenhagen, oder gar die Hauptstadt Europas. Zur Wahlparty nach den Europawahlen am Sonntag abend fehlte der Jubel bekannter Partei-Promis, wie man ihn von der Bundestagswahl kennt, suchte man vergeblich frustrierte Gesichter wegen verlorener Prozente. Die bunt geflaggten nationalen Sekt- und Buffethäuschen der 15 EU-Staaten auf der dritten Etage des Europaparlaments in Brüssel waren in der Wahlnacht kein Anziehungspunkt für die soeben gewählten Volksvertreter Europas.
Statt der Europaabgeordneten fanden sich dafür um so mehr EU-Kommissare im zwei Millarden Mark teuren Glaspalast unter den eintausend Gästen ein. „Die Bürger haben zu Europa eine große mentale Distanz“, versuchte EU-Kommissar Karel Van Miert die Frage nach den Gründen der geringen Wahlbeteiligung zu beantworten. Doch kaum ausgesprochen, kreiste er auch schon wieder im Brüsseler Karussell: „Das macht es für Prodi nicht leichter, eine Kommission zusammenzustellen.“ Seine Skepsis äußerte Van Miert mit Blick auf die Wahlergebnisse und die deswegen in der Nacht lauter gewordenen Stimmen, denen zufolge nun mehr Christdemokraten EU-Kommissarsposten beziehen sollten.
An vielen Stehtischen waren die Gäste ganz einfach irritiert. „Wäre bei 10 Prozent Beteiligung das Wahlergebnis überhaupt noch gültig?“ fragte einer. Eine Antwort blieb aus. Andere sahen das gelassener. Für die vielen Assistenten der Abgeordneten, die Fraktionsmitarbeiter und die Pressesprecher zählte zwischen Bier und Sekt vor allem die neueste Sitzverteilung und damit verbunden die Frage: Wer verliert Ende Juni im Parlament seinen Job?
Auch die deutsche Kommissarin Monika Wulf-Mathies fand sich ein und analysierte die Wahlbeteiligung so: „Themen, die nicht in Europa entschieden werden“, hätten die Debatte bestimmt, behauptete sie. Van Miert, von Kameras umlagert, weil Abgeordnete fehlten, meinte: „Die Menschen sehen nur die negativen Dinge in der EU.“ Warum wohl?
Eine Linie zwischen dem Desinteresse der Europäer am Wahltag und dem Rücktrittsskandal der EU-Kommission zog niemand. Detlev Samland (SPD), einer der wenigen präsenten Abgeordneten, fand seine eigenen Ursachen für den Wahlflop: „Stoiber, Schäuble, Gerhardt – die haben mit Europa soviel zu tun wie die lila Kuh“, erregte er sich. Er will mehr Profis aus dem Bundestag im Europaparlament sehen. Samland prognostizierte wachsende Konfrontationen zwischen einer mehrheitlich sozialdemokratisch besetzten EU-Kommission und dem massiven Gewichtszuwachs der Konservativen im Parlament.
EU-Kommissar Franz Fischler dagegen blieb gelassen. „Die wesenlichen Dinge wurden vor der Wahl geklärt“, gab er beruhigt zur Kenntnis. „Die Kooperation zwischen Sozialdemokraten und Konservativen wird weiterbestehen.“ Mit oder ohne Wähler? Peter Sennekamp, Brüssel
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen