: Strategie des Fuchtelns
Mit Videoaufzeichnungen ihrer Reden arbeiten Hamburgs Grüne an Gestik und Rhetorik ■ Von Judith Weber
Welche Zeitschriften oder Süßigkeiten Hamburgs PolitikerInnen bevorzugen, läßt sich am leichtesten von der Tribüne des Plenarsaals im Rathaus aus feststellen. Dort oben, wo bei Bürgerschaftssitzungen die Presse plaziert ist, haben die BerichterstatterInnen nicht nur Senatsbank und Rednerpult im Blick, sondern auch die Reihen der Abgeordneten und die Besucherbalkone. Hier sitzen jene, die gerade nichts zu sagen haben – und den RednerInnen vorne am Pult ohne Worte zeigen, wie spannend oder öde sie ihre Ansprachen finden.
Da wird getuschelt und mit Zeitungen geraschelt, werden Bonbons ausgepackt und Schwätzchen mit dem Nachbarn gehalten. Bei anderen Reden ist das nicht so: Aufmerksam verfolgen Grüne, SPD und CDU-Opposition dann die Worte der Sprechenden, und selbst die Schulklasse auf den Besucherrängen läßt das Gähnen sein.
Diese Reden sind es, die Anke Brandt „hörerorientiert“ nennen würde. Als Öffentlichkeitsarbeiterin der GAL-Fraktion versucht die studierte Germanistin und PR-Beraterin derzeit, die Beiträge der grünen Abgeordneten im Hamburger Parlament „noch interessanter und noch spannender zu machen“: Die Reden werden auf Video aufgezeichnet und besprochen.
Die Debattenkritik ist kein Muß, sondern ein Angebot an die Feierabend-ParlamentarierInnen, von denen die wenigsten das freie Vortragen von Berufs wegen gewohnt sind. „Die Resonanz ist sehr positiv“, berichtet Brandt. Das bedeute „aber nicht, daß das alles schlechte Redner sind. Es macht für die einzelnen Abgeordneten einfach Sinn, ein Feedback zu bekommen“. Die Beratung bringe zudem nicht nur die SprecherInnen weiter. „Sie ist ein Mittel, um Politikvermittlung noch interessanter zu gestalten und den Spaß an der Politik zu fördern.“
Gut zwei Stunden nimmt Brandt sich Zeit, um mit einer Politikerin deren Gestik und Mimik zu erörtern. Denn das Auftreten der Abgeordneten in der Bürgerschaft ist so unterschiedlich wie ihre Kleidung: Die einen fuchteln bei jeder Pointe mit dem linken Zeigefinger, die nächsten gehen sparsam mit Armbewegungen um. Ob mehr oder weniger ausladende Gesten geraten sind, hängt auch vom Thema der Rede ab, erklärt die frühere Hochschul-Dozentin: „Der gestisch-mimische Auftritt ist immer im Zusammenhang mit dem Inhalt zu sehen.“
Dem Koalitionspartner der Grünen sind derartige Überlegungen fremd. „Wir haben nicht vor, eine rhetorische Supervision von Sozialdemokraten einzuführen“, so SPD-Fraktionssprecher Armin Huttenlocher. „Wir bauen auf die Eigenständigkeit der Abgeordneten.“ Die halten ihre Reden schließlich „in völliger Eigenverantworung“ und „werden schon selbst sehr sensibel reflektieren, wie ihr Auftreten gewirkt hat und wie ihre Argumente rübergekommen sind“.
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