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Machen Indien und Pakistan mobil?

■ Im Streit um Kaschmir mehren sich die Zeichen für Krieg. Bisher nur ein Gedankenspiel, kann ihn heute niemand ausschließen

Delhi (taz) – Der Qutub Minar, das prunkvolle Minarett aus dem 12. Jahrhundert im Süden der indischen Hauptstadt Delhi, wird nachts nicht mehr angeleuchtet. In Ahmedabad und Jodhpur, den Großstädten nahe der Grenze zu Pakistan, wurde die Öffentlichkeit aufgefordert, abends übungshalber die Lichter zu löschen. Soldaten auf Urlaub wurden in ihre Einheiten zurückgerufen. Bereitet sich der Subkontinent auf einen Krieg vor? Was jeder vor zwei Wochen höchstens als Gedankenspiel zuließ, will heute niemand mehr ausschließen.

Beide Armeen kennen als Berufsheere zwar keine Mobilmachung, doch Beobachter sind sich einig, daß die Streitkräfte in Alarmbereitschaft versetzt wurden. Auf beiden Seiten sind sie laut Times of India aus ihren Rückwärtsstellungen in „defensive Frontpositionen“ verschoben worden. Es ist noch nicht höchste Alarmstufe, aber „nur eine Kerbe“ davon entfernt. Bei den Luftstreitkräften läßt sich eine höhere Zahl von Übungsflügen beobachten. Und Indiens Marine hat die in der Bucht von Bengalen vorgesehenen Seemanöver in die Arabische See und damit vor Pakistans Haustür verlegt.

Die Lage ist, so die inzwischen beliebte Leerformel, „äußerst fließend“. Dies schließt den Ernstfall nicht mehr aus. Alles hängt von der Entwicklung in Kargil im indischen Teil Kaschmirs ab, wo der Krieg bereits begonnen hat. Dort messen sich beide Seiten im Nahkampf um die Kontrolle strategischer Höhenzüge und beschießen sich aus der Distanz mit Artillerie. Vorläufig bleibt die Auseinandersetzung auf diese Region von rund 200 Quadratkilometern begrenzt, wenn man von den Artillerieduellen entlang der ganzen 750 Kilometer langen Kontrollinie absieht. Doch hinter denHundertschaften von Soldaten, die in Granatwurfdistanz zueinander stehen, haben beide Länder inzwischen eine Streitmacht von jeweils zwei Divisionen aufgezogen, mit einer Stärke von 30.000 bis 40.000 Mann auf jeder Seite. Sind diese nur für defensive Aufgaben bestimmt?

Gefangengenommene Mudschaheddin sollen ihren indischen Häschern preisgegeben haben, daß nach ihrer Infiltration pakistanische Truppen mit Helikoptern über die Grenze gesetzt werden sollten. Pakistan seinerseits beschuldigt Indien des Abwurfs von Napalm-Bomben; blieb den Beweis bisher aber schuldig.

Zum ersten Mal ließ sich auch Indiens Regierungspartei BJP dazu hinreißen, mit einer Besetzung des pakistanisch besetzten Kaschmirs zu drohen. Es blieb bisher die einzige wirkliche scharfmacherische Äußerung von Seiten der wichtigen politischen Gruppierungen. Der Ton bei den Politikern in beiden Ländern hat sich noch nicht zum Drohen gesteigert, wenn er auch kurz davor ist. Premier A. B.Vajpayee sagte am Sonntag bei seinem Besuch in Kargil, Indien wollen den Frieden, sei aber auch für den Krieg bereit. Der Dialog werde erst wieder aufgenommen, wenn die Eindringlinge aus dem Land geworfen seien. Sein Amtskollege Nawaz Sharif sprach dagegen gerade von der Notwendigkeit des Dialogs, falls der große Krieg verhindern werden soll. Bernard Imhasly

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