: Gestohlene Botschaften
Schilder-Klau zerstört die poetische Installation „Garten der Bedeutungen“ von Gunter Gerlach in den Kleinen Wallanlagen ■ Von Ulrike Bals
„Nichts irritiert so sehr wie ein falsches Schild“, sagt der Krimi-Autor und Künstler Gunter Gerlach. Doch ein falsch beschrifteter Wegweiser führe nicht nur in die Irre, sondern auch zu uns selbst. Und auf eben diese Wanderung schickt er zur Zeit die Spaziergänger in den Kleinen Wallanlagen. In den blühenden Park hat Gerlach eine zweite, virtuelle Landschaft gepflanzt – den „Garten der Bedeutungen“. 51 Tafeln ließ der 1941 in Leipzig geborene Wahl-Hamburger mit rätselhaften Botschaften bedrucken, deren verborgene Geschichten jeder Betrachter in sich selbst suchen und finden mag.
Doch das stille Kunstwerk, das vom 1. Juni bis 31. Juli in Hamburg als Beginn einer wandernden Ausstellung im öffentlichen Raum gedacht war, scheint ein jähes Ende zu nehmen. Schon nach kurzer Zeit weist die Topografie der Poesie erhebliche Lücken auf, die Fans und Feinde nächtlich reißen. Bald die Hälfte der lyrischen Installation ist bereits zerstört, Schilder wurden abgeschraubt und gestohlen und sogar die Befestigungen aus robusten Holzpfählen abgebrochen und verschleppt. An die Tafel „Schöner Blick auf den Altar gebrochener Herzen“ erinnert lediglich ein Holzstumpf im Kiesweg.
„Ich kann es verstehen, daß es manche Leute reizt, die Schilder mitzunehmen“, sagt Gerlach betrübt. Nach und nach sieht er die Botschaften verschwinden, als stehle jemand die Seiten aus einem Buch. Doch neben dem Unverständnis gab es auch viele nachdenkliche Reaktionen, von denen der Künstler berichtet. Als begehbares Gedicht empfand es eine Frau, die sich alle Schilderbotschaften notierte. Eine Schauspielerin wollte zu den Texten Szenen improvisieren, und eine japanische Reisegruppe ließ sich an der „Linie des Vergessens“ fotografieren.
Viele der Begriffe stehen im Dialog miteinander, wie zum Beispiel „Fremde Aussichten“ und „Abgrund des Denkens“. Andere sind aus dem Ort selbst entstanden und kommentieren oder ironisieren ihn einfach. Wie Schnee legen sich die Flugsamen an den Fuß der Weiden, die die Aufschrift „Klagebäume“ tragen. Über ein Bachbett spannt sich ein flacher Holzsteg, den Weg hin- und herüber markieren zwei Schilder. „Schmerzhafter Übergang“ steht auf der einen, „Brücke der Ungewißheit“ auf der anderen Seite. Die Botschaften verweisen auf etwas, was nicht da ist, meint Gerlach, und nehmen damit Raum, Ort und Zeit die Eindeutigkeit.
Die Schilder immer wieder zu ersetzen, dazu fehlt dem Künstler das Geld. Und so wird Flensburg, das als nächste Station geplant war, wohl auf die Installation verzichten müssen – Endstation Wallanlagen.
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