: Dilettantismus auf finanziell hohem Niveau
■ Das neu ins Leben gerufene Filmfest Ludwigsburg-Stuttgart will ein Filmfest für das Publikum der Region sein, tatsächlich wurde es vor allem als Standort-Marketing erfunden
Das Wesen der Stadt Stuttgart ist im Begriff, „Zukunftsfähigkeit“ zu finden. Da soll zum Beispiel der Stuttgarter Bahnhof unter der Erde komplett neu erbaut werden. Und jetzt sorgt die Aussicht auf einen 80.000 Quadratmeter großen Tivoli-Amüsierpark nach Kopenhagener Vorbild im Stuttgarter Schloßgarten für Ärger. Und alles nur wegen der „Zukunftsfähigkeit“. Auch das 1,4 Millionen Mark teure Filmfest Ludwigsburg-Stuttgart, das am Sonntag zu Ende gegangen ist, darf man zu den Bemühungen um Zukunftsfähigkeit zählen. Es gilt in der Branche nicht nur wegen seiner Finanzierung als abenteuerliche Unternehmung.
Der Schriftstellerverband der IG Medien, dem auch 3.000 Drehbuchautoren angehören, sah bereits im letzten Herbst einen „provinziellen Flop mit Wischiwaschi-Konzept“ voraus. Damals kündigte der baden-württembergische Kultusminister Klaus von Trotha ein Festival des europäischen Films in Stuttgart an. Freilich ohne vorher diejenigen zu fragen, die sich schon seit Jahren mit viel Eifer, aber ohne viel Geld für den europäischen Film einsetzen. So erfuhren die Veranstalter der Französischen Filmtage in Tübingen erst aus der Zeitung, daß der Termin des neuen Filmfests mit dem eigenen kollidiert. „Wenn wir nicht aufpassen, drücken die uns an die Wand“, bangte Filmtage-Chef Dieter Betz. Auch Michael Kötz, der Leiter des Mannheim-Heidelberger Festivals, fühlte sich von der hinter verschlossenen Türen ausgeheckten Konkurrenzveranstaltung düpiert. In einem offenen Brief an von Trotha bezeichnete er es als „obszön“ und „einen Affront“, daß sich das Land Baden-Württemberg in Stuttgart aus dem Stand heraus mit knapp einer halben Million Mark engagierte, einen „Preis des Ministerpräsidenten“ in Höhe von 100.000 Mark auslobte und gleichzeitig die Zuschüsse für Tübingen und Mannheim kürzte. Die beiden kleinen, aber hochangesehenen Festivals bestreiten ihre Etats (Tübingen 450.000 Mark, Mannheim 1,6 Millionen) je zur Hälfte aus Mitteln von Stadt und Land und dürfen auf keine Unterstützung seitens der Landesmediengesellschaft zählen. Für Stuttgart gelten diese Regeln nicht.
13 Filme aus Europa präsentierte das Filmfest im Wettbewerb, inklusive Nebenreihen kam man mit Ach und Krach auf 23 Filme. Bei Festivals mit vergleichbarem Budget wie Hof und Saarbrücken ist es durchaus üblich, in einer Woche rund 100 Filme zu zeigen. „Mit dreizehn Filmen mach' ich in Tübingen eine Retrospektive“, sagt Dieter Betz, der sich inzwischen zähneknirschend mit der Konkurrenz arrangiert hat und eine Sektion mit Mittelmeerfilmen ins Rennen schickte. Die Reihe, stiefmütterlich im Programm plaziert, zog nur wenige Zuschauer an.
Der Eindruck, daß die Stuttgarter Dilettantismus auf finanziell hohem Niveau bieten, verstärkte sich im Verlauf des Festivals. Ratternde Projektoren, krachender Ton, fehlende Untertitel und Vorführungen, die konsequent mit einer halben Stunde Verspätung beginnen – solche Mängel kennt man von anderen Festivals, wenn auch nicht in diesem Ausmaß. Schwerer wog freilich die Tatsache, daß man dem Fachpublikum keinen einzigen Film bot, der nicht als bekannt vorausgesetzt werden konnte. Etliche der Wettbewerbsbeiträge liefen nicht nur bereits auf der Berlinale und in Locarno, sondern auch bei kleineren Festivals wie in Dublin, Hamburg oder Selb. Der Eröffnungsfilm, „Little Voice“, etwa hatte ein paar Tage vorher schon das Publikum beim Filmfest in Emden beglückt, nächste Woche kommt er bundesweit ins Kino.
Gleichzeitig handelt es sich bei diesen Filmen vornehmlich um Debütfilme und Werke von noch wenig bekannten Regisseuren. Mit dieser Auswahl trat das Filmfest klar in Konkurrenz zum Mannheimer Nachwuchs-Festival. Ein angekündigtes „Filmfest für das Publikum der Region“ sollte die Region, ihre Filmfeste und das Publikum schon im Auge behalten.
Als während der ersten Festival-Tage nur vereinzelt Grüppchen von Filmstudenten in die Vorstellungen kamen, spotteten Beobachter, die Studenten seien wohl durch Anwesenheitspflicht zum Besuch verdonnert worden. Auch während der Prime time war der zeitgleich stattfindende „Schmankerl-Markt“ des Landes Kärnten mit „Knusperstube“, „Knödelhütte“ und „Schnitzel-Poldi“ teils besser besucht als das Festival.
Den Kritikern des Events erscheinen die Verbindungen zwischen Festival und Ludwigsburger Filmakademie suspekt. Akademie-Gründervater Ade lehrt seit vielen Jahren an der Ausbildungsstätte, die neben München und Babelsberg als die wichtigste in Deutschland gilt. Daß alle Filme des Filmfests Luwigsburg-Stuttgart ausschließlich in Ludwigsburg liefen, hat wohl mit Ades Ruf als Lokalpatriot zu tun. Offiziell wurde die Konzentration auf Ludwigsburg damit begründet, daß das passende Stuttgarter Multiplex-Kino nicht rechtzeitig fertig geworden ist. Als Ausweichquartier bezog man eine ehemalige Reithalle auf einem früheren Kasernengelände, wo eine Spezialfirma Leinwand und Projektor erst noch installieren mußte. Damit brachten die Veranstalter den engagierten Stuttgarter Programmkino-Betreiber Peter Erasmus gegen sich auf, der dem Festival sein – in allen Sälen mit Digitaltechnik ausgerüstetes – Kino wie sauer Bier angeboten hatte.
Auch zwischen Festival und Landesregierung gibt es offenbar wenig Distanz. Nicht die Filmfestleitung, wie zu erwarten gewesen wäre, sondern Minister Klaus von Trotha kündigte der Öffentlichkeit das Renommierprojekt an. Beim neugegründeten Festival geht es eben vor allem darum, Baden-Württemberg als „zukunftsfähigen“ Medienstandort und Stuttgart endlich als Medienstadt zu präsentieren. Trotha traf denn auch mit dem Mannheimer Kötz und dem Tübinger Betz eine Vereinbarung, wonach sie ihre Kritik erst nach dem Festival äußern sollten.
An diesen Pakt scheint sich seltsamerweise auch die Stuttgarter Zeitung gehalten zu haben. Auf ihren Sonderseiten sprach sie statt von Macht und Geld lieber von „jungen, frischen, frechen, nachdenklichen, bösen und spaßigen, sensiblen und traurigen, widerborstigen und tröstlichen Filmen“. Erst am Montag, nach Ende des Festivals, bekam die Berichterstattung eine kritische Note: „Das Filmfest bedarf der Nachbesserung.“
Oliver Fuchs
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