piwik no script img

Neuer Ort für Zocker

■ In der Bremer Baumwollbörse können sich Nachwuchs-Spekulanten neuerdings einen Computer mieten, um als „Daytrader“ an der Börse die richtig schnelle Mark zu machen

„Nicht an die Maus kommen“. Da kann das Berlinerisch von Wieland Steinich schon mal etwas schärfer werden. Der Mann starrt auf zwei Bildschirme, die ihm im Minutentakt die Börsennotierungen anzeigen. Mit dem Computer hat er den Kauf vorbereitet, jetzt wartet er nur noch auf die passende Sekunde, um zu klicken. Wenn man seinem Arbeitsplatz zu nahe kommt, wird er nervös. Auch wenn er gerade eigentlich nur mit Pfennigbeträgen hantiert um den Bremern zu zeigen, wie man spekuliert.

Steinich ist „Daytrader“. Er mischt an der Börse mit, ohne zugelassener Börsenmakler zu sein. Tag für Tag setzt er sich an seinen gemieteten Computer bei der „Momentum Trading House AG“ in Berlin und spekuliert im Sekundentakt. Seinen früheren Beruf als Immobilien-Makler hat er dafür sausen lassen. Inzwischen ist er bei Momentum angestellt und gibt seine Erfahrungen an Anfänger weiter.

Seit gestern hat auch Bremen eine Zockerstube. In der Baumwollbörse hat „Momentum“ einen Arbeitsraum für vorerst 20 freiberufliche Spekulanten eröffnet. Für 1.450 Mark im Monat plus Provisionen kann sich jeder Privatmensch einen Arbeitsplatz unter Gleichgesinnten mieten. 50.000 Mark Grundkapital müssen bei einer Bank hinterlegt werden. Nach einer Einweisung – falls gewünscht – wird mit den Sekundenschwankungen der Kurse Geld verdient. Länger als ein paar Stunden werden die gekauften Werte nicht gehalten, oft nur wenige Minuten. Gehandelt wird vor allem mit Dax- und Bund-Future-Kontrakten an der deutsch-schweizerischen Terminbörse Eurex. Hat ein Händler die Hälfte seines Kapitals verspielt, sagt die Bank „Stop“.

Der privatisierte Börsenhandel boomt. „Momentum“ hat mit seinem Infrastruktur-Angebot eine goldene Marktlücke entdeckt. Rund 100 Computer-Plätze haben sie deutschlandweit vermietet – am Ende des Jahres sollen es bereits 500 bis 600 sein. „Wir eröffnen gerade im Zweiwochenrhytmus neue Büros“, sagt Momentum-Chef Rafael Müller, 33 Jahre alt. Bis zu 500.000 Mark Umsatz will der Jungmanager am Ende des Jahres pro Monat machen. Gegründet hat Müller seine Firma mit zwei Gleichgesinnten erst im letzten Oktober.

Sein Bremer Mann ist Helmut Kückens. Kückens schwärmt von der „Demokratisierung der Börse“, die durch die Einmischung der semiprofessionellen Daytrader vorangetrieben werde. Die Tage des klassischen Parketthandels sind ohnehin gezählt, seitdem immer mehr Handel über das Internet betrieben wird. Kückens kam als Hobbyspekulant zum Daytraden. Nachdem er innerhalb von einem Monat 60.000 Mark verloren hatte, weil sein Bank-Anlagenberater schnarchend langsam war, dachte er sich: „Das kann ich besser“. Er fing an, zu dealen. Jetzt weist er die Newcomer ein, wie schnelles Geld zu scheffeln ist.

Die Art des Geldverdienens in Sekunden ist hochspekulativ und gilt als eine der gefährlichsten Arten, an der Börse Geld zu machen. „Das Risiko ist da“, brazt Ex-Makler Steinich motivierend-provokativ heraus. „Eine Garantie bekommen Sie an der Börse nicht. Genausowenig wie im Leben.“ Die größte Gefahr für die Spekulanten sei, wenn Sie ihren eigenen Regeln nicht folgen. „Disziplin und Konzentration“ – das sind nach seinen Angaben die Hauptattribute, die ein Daytrader mitbringen muß.

Zwischen 500 und 2000 Mark nimmt Steinich angeblich täglich mit nach Hause. Manchmal mehr, manchmal gar nix und manchmal verliert er Geld. „Aber ich sehe am Ende des Tages: soviel habe ich verdient“. Jetzt ist der Neuzeit-Goldgräber mit weißem Hemd und Weste auf der Suche nach dem letzten Abenteuer. Christoph Dowe

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen